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Deutsche
Gothik.
also ihre Schule an blossen Pfarrkirchen vollenden. Es ist ein-
leuchtend, dass dies auch auf die Fomien nicht ohne Einfluss
bleiben konnte; Bürgermeister und Rath machten andere Anfor-
derungen, als die kirchlich gelehrten und aus ritterlichem Blute
abstammenden Bischöfe und Domherren, und die Pfarrkirche hatte
eine andere Aufgabe, wie die Kathedrale. Grosse, weite, hellbe-
leuchtete Hallen, welche der dichten Menge reinere Luft und freien
Durchblick zum Altare gewährten, waren das wesentlichste Er-
forderniss, auf den breiten, ausgedehnten Chor, in welchem die
prachtvollen Sitze der Domherren eine würdige Stelle finden soll-
ten, auf die aristokratische Absonderung und Unterscheidung ver-
schiedener Theile konnte man verzichten.
Es ist begreiflich, dass diese enge Verbindung der Kunst
mit dem Städtewesen der deutschen Gothik im Vergleich mit der
französischen und englischen einen schlichteren, mehr bürger-
lichen Charakter gab, sie in gewissen Beziehungen beschränkte.
Alle Motive, welche aus der tiefsinnigen Pracht des bischöflichen
Cultus, aus der Begeisterung für die Herrlichkeit der Kirche, aus
der aristokratischen Kühnheit entnommen waren, die auf die
Vertreter der Kirche überging, fielen hier fort; die äusserste
Eleganz würde der Bestimmung dieser Bauten und dem Geiste
der Communen entgegen gewesen sein. Aber auch so blieb die
Aufgabe doch noch eine bedeutende und würdige; diese Pfarr-
kirchen sollten den Ausdruck der tiefen, wahren, nicht durch
hierarchische Nebenabsichten getrübten Frömmigkeit, des Selbst-
gefühles bürgerlicher Freiheit, der Macht eines grossen Gemein-
wesens geben, und die Ausführenden standen in der Mitte dieser
Anschauungen und wurden darin durch den Beifall ihrer Mit-
bürger bestärkt und gehoben. Jedenfalls war es ein Glück, dass
dieser Stoff sich darbot; denn die Begeisterung für glänzendes
Kirchenthum hatte überall keine Kraft, nicht einmal in der Geist-
lichkeit selbst, und die Nachblüthe des Ritterthums fehlte in
Deutschland. Das deutsche Volk ist bürgerlichen Siimes, es
hatte in allen Epochen einfachere Formen geliebt, und es war
kein Zufall, dass es erst unter dem vorherrschenden Einflüsse der
Städte die letzte Hand an die Ausbildung seiner- Architektur
legte. Schon die ersten Aenderungen, welche der gothische Styl