Die
Kathedrale
VOI]
Winchester.
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eine so durchgeführte Einheit des Inneren erlangt, wie sie der
frühere gothische Styl nicht kannte, freilich auch nicht forderte.
Wer das Gebäude mit dem Auge des Architekten prüft, wird
mit Erstaunen bemerken, wie sehr Wykeham die Rücksiehten
der Schönheit und der Sparsamkeit zu vereinigen gewusst hat.
Das alte Mauerwerk ist soviel wie möglich benutzt, selbst die
Arbeit des Fortbrechens hat er, wo es anging, erspart; die Fen-
ster haben dieselbe Breite, das Mittelschiff des Langhauses hat
nach wie vor bei der gewaltigen Länge von elf Arcaden und einer
Breite von mehr als 40 engl. Fuss nur '78 Fuss Höhe. Aber die
Erhöhung und helle Beleuchtung der Seitenschiife und die Glie-
derung der Pfeiler geben diesem niedrigen Raume den Ausdruck
leichten Aufschwunges, und das Ganze, obgleich durch so
vielfache Rücksichten bedingt, erscheint wie aus einem Gusse
entstanden.
Im Aeusseren bemerkt man allerdings die Zusammensetzung
verschiedenartiger Theile, und die Facade, ein Durchschnitt der
drei Schiffe mit einem langweilig kolossalen Fenster und einer
bedeutungslosen niedrigen Vorhalle, verdient Wenigstens kein
grosses Lob. Dagegen kann man den englischen Schriftstellern
wohl beistimmen, wenn sie das Langhaus in seiner Innenansicht
für das schönste in England erklärenf]. Freilich darf man nicht
mit Ansprüchen herantreten, die aus fremden Anschaulmgen ent-
lehnt sind. Den ernsten, lebensvollen Organismus der früheren
französischen Kathedralen, die schlichte Grossartigkeit der deut-
sehen Hallenkirchen dürfen wir hier nicht suchen, das poetische
Element kühnen, rücksichtslosen Aufstrebens ist sehr gedämpft.
Selbst gewisse Eigenthümlichkeiten der früheren brittischen
Kunst mögen wir vermissen; die trotzige Kraft, die frische oft
eigensinnige Originalität haben einer Besonnenheit Platz gemacht,
die im Vergleich damit fast allzu verständig und kühl erscheint.
Der Eindruck ist ein vollkommen eigenthümlicher, wir wissen
kaum, ob wir noch auf dem Boden des Mittelalters stehen oder
nicht. Zwar sehen wir noch Formen und Verbindungen, die
ihren Ursprung aus dem gothischen Style nicht verkennen lassen,
aber der Ausdruck ist ein so gemilderter, wie wir ihn an diesem
f] Britton, Cath. Antiqu. III, 75.