Verfall
der
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Institutionen.
Roms besuchten, einen ungewöhnlichen Ablass, und sofort
strömten die Pilger aus allen Ländern herbei, die Strassen
waren von ihnen bedeckt, Rom war zu eng sie aufzunehmen.
Die Christenheit schien sich zu drängen, um ihre Unterwer-
fung unter den heiligen Stuhl in feierlichster VVeise zu be-
kunden. So fasste es der Papst auf. Ein Mann von Muth
und Kraft, glaubte er sich berufen, die Lehre von der päpst-
lichen Supremat-ie in vollster Consequenz durchzuführen; er
schmückte sich mit den kaiserlichen Insignien und behandelte
die mächtigsten Könige wie seine Diener. Dass diese Ueber-
hebung sich an ihm rächte, War kaum überraschend; dass er
bald darauf im Grame über eine rohe Misshandlung sterben
musste, hätte als ein vereinzeltes, tragisches Ereigniss vor-
übergehen können; das Mittelalter wusste die Person von der
Sache zu scheiden. Allein es war kein vereinzeltes Ereigniss,
es War das Zeichen innerer VVidersprüche und das Vorspiel
der traurigsten Entartung. Der heilige Stuhl, durch unwür-
dige, verbrecherische Verhandlungen von Rom, dem freien
Sitze uralter Herrschaft, nach Avignon in die Nähe und unter
den drückenden Schutz der französischen Könige verlegt, gab
sogleich den Beweis seiner schmählichen Knechtschaft, indem
er den Orden der Templer, den treuen Wächter heiliger Stätten,
weltlicher Habsucht opferte. Dass diese Päpste dennoch den
hierarchischen Begriff, namentlich dem Kaiserthume gegenüber,
in äusserster Strenge festhielten, dass sie nicht anstanden, In-
terdict und Bann oft durch lange Jahrzehente über ganze Länder
zu verhängen, musste die Begriffe verwirren, zumal da man
kaum verkennen konnte, dass diese geistlichen Waffen nicht
für die Kirche, sondern im Interesse des französischen Königs
geschwungen wurden da). Dazu kam dann die Ausbeutung
aller kirchlichen Rechte für finanzielle Zwecke, die fast un-
verhohlene Käuflichkeit aller Aemter, die steigende Sittenver-
derbniss der Geistlichkeit durch alle Stufen der kirchlichen
Der Franciscaner Johann von Winterthur, obgleich kein Anhänger
Kaiser Ludwigs, spricht in seiner gleichzeitigen Chronik wiederholt die
Ansicht aus, dass der Papst auf Anstiften des französischen Königs handle.
Joh. Vitodnrini Chronicon, heransgeg. von G. v. Wyss. Zürich 1856.