Gewölb formen.
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stern- oder netzartigen Figuren gestaltet, bis man darüber die
statische und ästhetische Bedeutung der Diagonalrippen ganz aus
dem Auge verlor und sich gewohnte, jene Figuren wie decorative
Muster zu betrachten, welche dann durch die sich rechtwinkelig
schneidenden Scheitelrippen in vier einander entsprechende Theile
gesondert und auf eine übersichtliche Ordnung reducirt wurden.
Es kam endlich dahin, dass alle von den Pfeilern aufsteigenden
Rippen in die eine longitudinale Scheitelrippe mündeten, welche
nun vermöge der reichgeschmückten und dicht aneinander gerei-
heten Schlusssteine immer gewichtiger und bedeutender wurde,
so dass das ganze Gewölbe nur zu ihr anzustreben schien und
in der That aus einem Kreuzgewölbe mehr und mehr zu einem
spitzen Tonnengcwölbe mit einschneidenden Stichkappen über
den Fenstern wurde , und also statt des reichen pulsirenden Le-
bens der älteren Wölbung eine bei aller Menge der Rippen sehr
viel einfachere Gestalt annahm. Es ist richtig, dass diese ganze
Umgestaltung des Gewölbes auch mit technischen Zwecken zu-
sammenhing und mit Kenntniss und Geschick durchgeführt
wurde, aber das treibende Princip war dabei doch immer, den
Schein grösseren Reichthums durch vermehrte Details und doch
zugleich eine übersichtliche Einheit und eine leichtere Herstellung
durch ihre vereinfachte und gleichförmige Behandlung zu er-
langen. Während die Bedeutung und Schönheit der gothischen
Architektur ursprünglich auf der offen zu Tage liegenden kräf-
tigen Function ihrer einzelnen Glieder beruhete, erschien sie in
dieser englischen Auffassung mehr als eine elegante Deeoration
einfacher architektonischer Massen.
Diese uniforme Behandlung, obgleich sie an einzelnen Stellen
schon früher eintrat, war indessen erst das Ende des decorirten
Styles, gewissermassen das Absterben jener geistreichen Leben-
digkeit, Welche das Wesen dieses Styles ausmacht, und die wir
besser als durch abstracte Schilderung durch die nähere Betrach-
tung seiner ausgezeichnetestcn VVerke kennen lernen.
Unter diesen nenne ich zuerst die Kathedrale von ExeteHF),
Da ein näheres Eingehen auf die Einzelheiten dieser Gebäude zum
Verständniss dieser Epoche unerlässlich ist, die Oekonomie meines Buches aber
nicht die Beifügung so vieler Zeichnungen gestattet, ist es dringend wün-