Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Die Spätzeit des Mittelalters bis zur Blüthe der Eyck'schen Schule (Bd. 6 = [2], Bd. 4)

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England. 
unter dem Namen des verzierten Styls begreift, eben durch das 
Abweichen von jenen nationalen Eigenheiten entstand, und nicht 
eher zur Ruhe kam, bis im Perpendicularstyl nun Wirklich eine 
ächt englische, für Jahrhunderte genügende Form gefunden war. 
Er hat auch wirklich mit den Werken der früheren Uebergangs- 
epoche den Reiz grosser Originalität und Individualität gemein, 
aber er hat daneben den Vorzug einer höchst ausgebildeten 
Technik, eines gebildeten Geschmacks, und sehr viel grösserer 
Harmonie. Die englischen Architekten geben ihm daher auch 
fast einstimmig den Vorzug vor allen anderen einheimischen 
Stylen, und in der That erscheint er zwischen der etwas trocke- 
nen Haltung des frühenglischen und dem bald in Monotonie aus- 
artenden Perpendicularstyl als ein frisches Erblühen des künst- 
lerischen Gefühls. In diesem Sinne muss man die Bezeichnung 
des "verzierten" Styles deuten, er ist nicht etwa der reichste an 
Verzierungen, vielmehr wird er darin vielleicht schon vom nor- 
mannischen, gewiss von vielen Bauten des Perpendicularstyls 
übertroffen, sondern der schöne Styl der englischen Kunst, der- 
jenige in welchem der brittische Kunstsinn gewisse, ihm gefähr- 
liche Einseitigkeiten möglichst vermeidet und die glückliche Mitte 
zwischen der Sprödigkeit des früheren und der conventionellen 
Glätte des späteren Styles hält. Freilich mögen wir dann aber 
auch aus jener Bezeichnung die Andeutung entnehmen, dass wir 
die imposante Strenge und grossartige Consequenz anderer 
Epochen hier nicht erwarten und der künstlerischen Freiheit, 
welche das Wesen dieses Styles ausmacht, auch etwas Willkür 
und Uebermuth zu Gute halten müssen. Statt einer erschöpfen- 
den Charakteristik dieses Styls, welche bei seiner Principlosig- 
keit nicht denkbar ist, müssen wir uns begnügen, die wichtigsten 
Veränderungen, die wir an den einzelnen Theilen wahrnehmen, 
näher zu betrachten. 
In manchen Beziehungen finden wir, dass sie auf Herstel- 
lung eines lebendigeren Zusammenhanges, ja sogar grösserer 
Einfachheit abzielten. Die Pfeiler, welche im frühenglischen 
Style oft aus einzelnen sehr dünnen und weit abstehenden Säulen 
bestanden, werden jetzt meist aus einem Stücke gebildet, manch- 
mal mit acht kräftigen Halb- oder Dreiviertelsäulen, meistens
	        
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