Rathhäuser.
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Thurmes, in den Hallen oder selbst unter freiem Himmel und nur
bei ungünstigem Wetter in hölzernen Verschlägen getagt; jetzt
aber beim YVachsen sowohl des Gefühls für Anstand und Be-
quemlichkeit, als des städtischen Reichthums, hielt man dies für
unwürdig und errichtete eigene Gebäude für diese und andere da-
mit verbundene Zwecke, welche dann, da sie eine friedliche und
höhere Bedeutung hatten, auch zu Ehren der Stadt reichere For-
men erhalten mussten. Die Reihe dieser Prachtgebämle eröffnete,
soviel wir urtheilen können, das Stadthaus von Brügge, zu wel-
chem der Graf von Flandern im Jahre 1377 den Grundstein legte,
und das auch wirklich das Gepräge einer neuen Erfindung trägt,
und anderen ähnlichen Bauten zum V orbilde oder Ausgangspunkte
diente. Man erkennt deutlich, dass der unbekannte Meister die
Elemente des würdevollen Schmuckes, dessen er bedurfte, aus der
kirchlichen Architektur entlehnt und mit dem Charakter des Bür-
gerlichen, den er festhält, harmonisch zu verbinden strebt. An den
deutschen Rathhäuserxi dieser Epoche linden wir meistens, dass
die Architekten die Form des schmalen städtischen Giebelhauses
zum Grunde legen und daher bei der erforderlichen grösseren
Breite mehrere solche Giebel aneinander reihen zu müssen glaub-
ten. Der belgische Meister, der freilich den X70rzug hatte, dass
die Baustelle nicht in der Reihe bürgerlicher Wohnhäuser , son-
dern an einem kleinen Platze im Zusammenhange mit anderen
öffentlichen Bauten lag, verhielt sich freier, indem er die Dach-
schräge, welche an dieser Hauptseite, als der breiteren, entstand,
unverhüllt liess, sie aber durch eine Balustrade an ihrem Fasse,
eine Bekrönung auf ihrem First und durch verzierte, im rhyth-
mischen VVechsel angebrachte Dachluken belebte, und ihr durch
drei Thürmchen, zwei auf den Ecken und einer in der Mitte, den
selbstständigen Charakter einer Facade gab. Indessen glaubte
auch er noch den Gedanken und die schlanke Form des Bürger-
hauses andeuten zu müssen, indem er dem Gebäude unterhalb der
Balustrade die Gestalt zweier, durch jenes Mittelthürmehen ge-
trennten und verbundenen Häuser, jedes mit seiner Eingangsthiir
und drei Fenstern, gab, nur dass dies bei dem Mangel der Giebel
blos eine leise Andeutung bleibt. Von den Fenstern der beiden
Stockwerke seines Gebäudes bildete er die unteren viereckig, die