Choranlage.
143
zeitig in der vorigen Epoche begonnenen Domchören von
'l'ournay und Utrecht erscheint sie in gleicher und völlig ausge-
bildeter YVeise, an dem wahrscheinlich noch früheren Chore der
Frauenkirche zu "Brügge und in anderer Art auch an der Kathe-
drale von Brüssel unvollständig, dann Wieder an St. Nicolaus in
Gent, wo der Chorschluss erst aus dem fünfzehnten Jahrhundert
stammen soll, und endlich an St. Bavo in Gent hier aber nicht
als Verkürzung, sondern als Erweiterung der gewöhnlichen
Anlage, indem ausser dem durch selbstständige Kreuzgewölbe
gedeckten Umgange die gewaltigen, ein volles Sechseck bil-
denden Kapellen keine Zwischenwände haben, so dass neben
den tiefen Altarnischen ein zweiter Umgang entsteht.
Ausscrhalb der Niederlande giebt es freilich noch eine
zweite, dichter zusammengelegeire und vielleicht zahlreichere
Gruppe von Kirchen mit derselben Anlage, und zwar an der
Küste der Ostsee in Mecklenburg und den angränzenden Län-
dern. Aber alle diese Kirchen, mit alleiniger Ausnahme der
schon im dreizehnten Jahrhundert begonnenen Marienkirche zu
Lübeck, sind jünger als jene niederländischem-ab). Es ist daher
wahrscheinlich, dass diese ökonomische Form hier, wo sie zu-
gleich der Vorliebe für offene, bequeme Räumlichkeit zusagen
konnte, erfunden und vermöge des lebhaften Handelsverkehrs
zunächst nach Lübeck übertragen ist.
In den östlichen Niederlanden trieb man die Verkürzung
der französischen Choranlage noch weiter und gab auch grös-
3'] Grundrisse von Tournay bei Schayes III, 170, und Kugler Baukunst
III, 409, von Utrecht, der Frauen-Kirche in Brügge und St. Bavo in Gent im
Organ a. a. O. zu Nro. 9, 23 und 19. Von St. Bavo eine Aussenansicht bei
Schayes a. a. O. Für St. Nicolaus in Gent habe ich nur die Angabe im Organ
a. a. O. S. 242, bei der es auifällt, dass der Verfasser dabei nicht an jene-
beiden anderen, durch seine eigenen Zeichnungen festgestellten Fälle erinnert.
Dass der Grundriss von St. Bavo bei Wiebeking Tafel 86 falsch ist, habe ich
schon angeführt.
a") Vielleicht haben auch andere niederländische Kirchen, deren Grund-
risse noch nicht publicirt sind, dieselbe Choranlage. Bei der 1369 gegründeten
Nißülßikirßhe zu Kempen bemerkt Eyck a. a. 0. ausdrücklich, dass sie flache
Kapellen an dem innerlich mit fünf Seiten des Zehnecks geschlossenen Chore
habe 111111 dem 0110m des Domes zu Utrecht sehr gleiche.