Frankreich.
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gränzt und gross, verwandt den religiösen Geheimnissen und
wie sie mit hingebender, ehrfurchtsvoller Begeisterung betrachtet.
Glaubt man das Wort des Räthsels gefunden zu haben, so
schwindet dieser Nimbus, die Kunst wird eine Aufgabe wie die
anderen Geschäfte des Tages; Praxis und Theorie gehen allseiti-
ander, und es kann nicht ausbleiben, dass nach Neigung, Mode,
oder abstract verständiger Consequenz einzelne Elemente ein-
seitig herausgehoben und betont werden. Diesem Stadium der
Auflösung näherte sich die Architektur im Laufe dieser Epoche,
so dass die Spuren des Verfalls am Ende derselben immer deut-
licher hervortreten. Allein freilich nicht überall in gleichem
Maasse und in gleicher Art.
Am auffallendsten ist der Unterschied der Zeiten in Frank-
reich. Während wir in der vorigen Epoche die Menge von
glänzenden Werken, von stets anziehenden und wichtigen Erfin-
dungen und Verbesserungen kaum bewältigen konnten, ist die
Geschichte der gegenwärtigen fast ein leeres Blatt. Allerdings
War das vierzehnte Jahrhundert besonders für Frankreich ein
unglückliches; bald nach dem Ablaufe des ersten Drittels wurde
esder Schauplatz des verheerenden Krieges mit England, der,
wenn auch mit Unterbrechungen, über hundert Jahre dauerte
(1336 bis 1449); dazu kam innerer Zwiespalt, der Aufstand von
Paris 1357, der Bauernaufruhr 1358, anhaltende Kämpfe der
Grossen und der Prinzen des königlichen Hauses, und endlich die
Zahl der Seuchen und anderer Leitlen, von denen das ganze
Abendland heimgesucht war. Diese Unfälle werden gewiss auf
die Kunst hemmend eingewirkt haben, aber doch schwerlich in
dem Grade, wie man gewöhnlich annimmt. Die Kriegsnoth be-
gann, wie gesagt, erst ein Menschenalter nach dem Anfange des
Jahrhunderts, erlitt bedeutende Unterbrechungen und verheerte
doch immer nur vorübergehend einzelne Provinzen. Auch
Wirken bekanntlich Kriege keineswegs blos niederdrückend,
Sünde"! auch anregend; das Leben reagirt gegen die äussere
Hemmung und hebt sich um so frischer, wenn der Sturm aus-
getobt hat. Das blieb auch hier in anderen Beziehungen nicht