Vorherrschen
der
Wellenlinie.
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gern auch an anderen Stellen an, auf Balkonen der Aussenseite,
an Orgelbühnenl, Laufgängen, Treppen im Inneren, und füllte
endlich auch Wülll YVandfelder an Strebepfeilern oder an anderen
geeigneten Stellen des Aeusseren und Inneren mit ähnlichem
Maasswerk.
Charakteristisch für diese Zeit ist die Vorliebe für weiche,
aus mehreren Kreisstücken zusammengesetzte, Wellenartige
Linien, welche in diesem Maasswerke vorherrschen, aber auch
sonst an den verschiedensten Stellen sich eindrängen. Die Blätter
der Kapitäle und Friese, welche in der vorigen Epoche statt der
aus romanischer Zeit überkommenen conventionellen Form die
schöne und freie Gestalt natürlicher, aber stylgemäss behandelter
Blätter des Laubholzes oder gewisser Waldkräuter angenommen
hatten, werden jetzt aufs Neue conventionell und entweder aus
stylistischer Pedanterie steif und mit Einzelheiten überladen oder
auch so kraus und bunt gestaltet, dass sie unter den wirklichen
Pflanzen höchstens an Kohlblätter erinnern. Aber auch an tra-
genden Gliedern, deren Profil aus einzelnen horizontalen und
einander aufliegenden 'l'heilen gebildet war, etwa wie bei Ge-
simsen aus Plättchen und Rundstab, oder wie bei den Pfeiler-
füssen aus dem Wulst und dem senkrechten Basament, zog man
beide in eine weiche, wellenartige Linie zusammen, wie wir dies
schon an dem auffallenden Beispiele des Pfeilersockels gesehen
haben, der nun statt der strengen, Festigkeit aussprechenden
Haltmig vielmehr eine weichliehe Senkung darstellte. Da, wo die
Welle schon sonst angewendet und gerechtfertigt war, an Ge-
simsen, Gurtungen, Rippenprofilen, wurde sie nun immer weicher
und wogender. Endlich aber trat sie an noch viel wichtigerer
Stelle, an dem Spitzbogen selbst hervor. In Deutschland und
Frankreich geschah dies nur an Portalen, Fenstern oder Nischen,
und auch da meistens nur an der äusseren Gliederung, der man
durch eine leichte Schweifung nach oben eine Spitze gab, die
mit einer Kreuzblume abschloss. Man schmückte dabei auch das
AßllSSere des ganzen Bogens mit Krappen, so dass diese ganze
Erhöhung als eine Umgestaltung des früheren Spitzgiebels er-
scheint, dessen strenge gerade Linie auch hier in eine weiche
Curve verwandelt war, welche als Gegensatz und Bekrönung