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Architektur.
sehr ähnlichen Bildungen in dem liammenden Maasswerk der
französischen Schule, weil ihre bizarre Gestalt nicht durch den
durchgeführten Verticalismus aufgelöst und entschuldigt wird.
Soviel hier zur vorläufigen Uebersicht, da ich bei der Betrach-
tung der einzelnen Nationen auf diese Eigenthiimlichkeiten des
Maasswerks näher eingehen muss.
Auch an anderer Stelle zeigte sich dann die Neigung, die
festen Glieder in viele schweifende Linien aufzulösen, nämlich
am Gewölbe. Man theilte nämlich die einzelnen kräftigen
Rippen in mehrere kleinere, Welche sich trennten und wieder
zusammenfanden, und erhielt so ein mehr oder weniger reiches
und künstliches Netz, welches das Auge durch sein mannig-
faltiges, grössester Abwechselung fähiges Formenspiel ergötzte
und zugleich zu technischen Erleichterungen benutzt werden
konnte. In England, wo wir diese Neigung schon in der vori-
gen Epoche wahrnehmen, verschwand daher das einfache
Kreuzgewölbe völlig, in Deutschland sah man darin eine Gele-
genheit sich in der Lösung geometrischer und technischer
Schwierigkeiten zu üben, oder ergriff es als ein Mittel gegen die
allzugrosse Einförmigkeit der Hallenkirchen; nur in Frankreich.
besondersainl den Kernprovinzen des gothischen Styls, sträubte
man sich noch gegen diese Neuerung. Es ist nicht zu läugnen,
dass solche künstlichen Gewölbe unter Umständen einen gün-
stigen Eindruck machen, meistens erscheinen sie aber doch zu
schwer und anspruchsvoll, und jedenfalls trugen sie mit dazu
bei, das architektonische Gefühl irre zu leiten und an bunte Zer-
splitterung zu gewöhnen. Auch übten sie eine ungünstige
Rückwirkung auf die unteren Theile aus, indem die zunehmende
Auflösung und Spaltung der Gewölbrippen auch immer dünnere
Dienste zu erfordern schien.
Im Aeusseren der Kirchen unterlagen zunächst die Por-
tale einer ganz ähnlichen Umgestaltung wie die Pfeiler des
Innern. Die Säulenschäfte, die sich an diesen noch einiger-
massen erhalten hatten, waren zwar an jenen gleich im Beginne
des gothischen Styles verschwunden und weicheren Höhlungen
und Rundstäben gewichen. IAber die breite "einfache Abschrä-
gllllgdes Basaments war doch geblieben und jene Höhlungen