Reisen
und
Pilgerfahrten.
87
Reisen, Welche Handel, Lehusdienst, geistliche Missionen, Na-
tionalkriege oder Privatfehden erforderten, kamen die mehr will-
kürlich gewählten. Die Kunde von den Kreuzzügen der Väter
liess die Enkel nicht ruhen, die XVanderlust erzeugte Gelübde
und nahm auch ohne solche fast den Charakter einer religiösen
Pflicht an. Einzelne pilgerten noch immer nach dem gelobten
Lande und hatten dann, weil sie nicht mehr in Heeresmassen
einherzogen, um so abenteuerlichere Ereignisse; Andere wall-
fahrteten nach Preussen oder Spanien, wo man sich noch gegen
Heiden und Mauren schlug. Bei der leichten Erreichbarkeit
dieser Schauplätze heiliger Kriege scheint es wenigstens bei den
französischen Rittern Regel gewesen zu sein, dass jeder in
seinem Leben eine solche „Reise" mache; Froissard nennt es
geradezu „le voyage de Prusse" , etwa wie man heute bei einem
Künstler von seiner Reise nach Italien sprechen würde. Es ge-
schieht selbst während der englischen Kriege. Wer das nicht
konnte, unternahm dann eine Pilgerfahrt nach irgend einem be-
rühmteu näheren oder entfernteren WVallfahrtsorte, wo Leute der
verschiedensten Stände und Zwecke in der bunten Mischung
zusammentrafen, welche Chaucer so humoristisch geschildert
hat. Riickte nun gar die Jubelfeier von Rom heran, die Bo-
nifaz VIII. im Jahre 1300 eingeführt hatte und deren Wieder-
kehr im Laufe dieses Jahrhunderts von 100 anfangs auf 50,
dann auf 33 Jahre gesetzt wurde, so machten sich ganze Völ-
kerschaften auf den Weg, so dass man die Pilger in Rom täg-
lich nach Hunderttauseuden rechnen konnte. Dann kamen die
stürmischen Ziige der Geissler oder ähnlicher, von plötzlichen
Aufwallungen fortgerissener Pilger, dann Wieder abenteuernde
Ritter, wie Froissard sie einige Male nennt, die zur Ehre ihrer
Damen in anfallender Tracht herumzogen und Kämpfe heraus-
forderten, dann Söldner, welche Dienste suchten oder nach been-
detem Kriege heimkehrten. Wohl dem Lande, wenn sie sich
nicht zu Raubschaaren gesellten. Selbst die Kriegsunterneh-
mungen der Fürsten Waren oft so leichtsinnig und mit so ge-
ringen Mitteln unternommen, dass man sie geradezu nur als
Aeusserungen abenteuerndcn Muthes ansehen kann, und dass
sie nur dazu dienten , die Strassen mit neuen Abenteurern zu be-