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fallend, so öffentlich, so malerisch dagewesen war. Es ist, als
0b die Unglücksfälle, welche die Welt gerade jetzt so häufig
und so erschütternd heimsuchten, bei der grossen Menge nur die
Vergnügungssucht und Lachlust gesteigert habe. Kaum sind
die zahllosen Todten bestattet, welche die Seuche hingerafft,
kaum die Trümmern der im_Erdbeben gestürzten Gebäude auf-
geräumt, kaum die verheerenden Kriegsschaaren, die wilden
Volkshaufen, welche unter dem Vorwande des Judenhasses
plündernd umher-schwärmten, die Geisseler mit ihrem jedenfalls
ernste Gedanken erregenden Aufzuge vorübergegangen, so
schlagen überall die Wellen der Lust höher empor Wie je. Ge-
rade unter der unglücklichen Regierung Königs Johann von
Frankreich, Während er selbst in der Gefangenschaft war, die
Engländer das Land verwüsteten und der Aufruhr des Laud-
volkes die Gefahr auf das Aeusserste steigerte, erreichte auch
der Luxus des französischen Adels seine grösste Höhe. Wäh-
rend im südlichen Deutschland eine kaum überstandene Hun-
gersnoth, Ueberschwemmungen, Feuersbrünste, blutige Fehden,
ungewöhnliche Verbrechen die Gemüther ängstigten und auf-
regten, so dass sie überall drohende Gespenster sahen und sich
mit fabelhaften Sehreckgerüchten, z. B. von einem nahen Einfalle
der Tartaren, herumtrugen, verbanden sich in dem Städtchen
Ueberlingen am Bodensee sieben reiche Bürgerssöhne zum lu-
stigeil Leben und tobten nun zum Aerger ihrer Mitbürger so
lange, bis sie ihr Vermögen fast ganz vergeudet hatten und nun
den Rest dazu verwandten, mit Pfeifern und Paukenschlag aus-
zuziehen, um in der Lombardei Kriegsdienste zu suchen i).
Dass vorübergehende öffentliche Leiden solche Gegenwirkung
hervorbringen, ist psychologisch zu erklären; beschreibt doch
schon Thukydides die Ausgelassenheit nach der Pest in Athen
ganz ähnlich, wie Boccaz sie in Florenz in diesem Jahrhundert
fand. Aber dass sich dieselbe Erscheinung immer wiederholte,
dass die Dauer und WViederkehr der Unglücksfälle (len Leicht-
sinn nicht demüthigte, ist diesem Zeitalter eigenthümlich.
Den ersten Rang im Luxus und in der Veranstaltung
ä) Der Chronist Johann von Winterthur (ed. G. v. Wyss, Zürich 1856)
erzählt diese Anekdote.