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Französische
Plastik.
brachten
ein
Gefühl
für
Lebenskraft
und
Naturwahrheit
mit, dem jene befangene, ängstliche Behandlung nicht mehr
zusagte. Wie das Blattwerk der Kapitäle die COXIVBIIllOIIBllG
Form ablegte und sich einheimischen Pflanzen näherte,
vmlrden auch die menschlichen Gestalten freier und natür-
licher aufgefasst. Die Architektur kam ihnen dabei ent-
gegen, denn auch sie hatte nun breitere und vollere Formen
angenommen; die Statuen der Portale brauchten nicht mehr
den schlanken enggestellten Säulen angeheftet zu werden,
sondern fanden ihre Stelle in geräumigen Höhlungen, und
statt des gedrückten Tympans begünstigte ein hoch auf-
steigendes Bogenfeld die Entwickelung des Reliefs. Der
ganze Bau athmete Luft und Freiheit und die Plastik folgte
daher auch hier nur dem Impulse der Architektur. Auch
die Gegenstände wurden andere; während jener strengere
Styl sich mit einfacher Nebeneinanderstelltmg der Figuren
begnügt hatte, gab jetzt der ganze Umfang des Portals
einen reichen zusammenhängenden Gedankeninhalt, in wel-
chem auch die Monatsbilder der bürgerlichen Beschäfti-
gungen und Scenen von verständlich moralischer Bedeutung
Raum fanden. Es konnte nicht ausbleiben, dass diese neue
Generation sich in einem Gegensatze gegen die ältere fühlte
und demselben Ausdruck gab. Daher sehen Wir nun plötz-
lieh statt jener hageren und steifen Glieder Gestalten von
dreister, breiter Haltung, statt der matt oder demüthig ge-
senkten Köpfe ein frei gehobenes, muthiges Antlitz, statt
der mühsam gelegten Falten volle, weite, fliessende Ge-
wänder, und alles dies mit einer Derbheit und Naivetät,
die den schroffsteil Kontrast gegen jene Befangeilheit bildet,
und die nachher in mannigfacher Weise gemildert wurde.
Eine Uebersicht über den chronologischen Gang dieser
Entwickelung gewähren uns die Bildwerke auf den Grab-
steinen. Die Gestalten der englischen Könige Heinrich II.