Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Entstehung und Ausbildung des gothischen Styls (Bd. 5 = [2], Bd. 3)

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Französische 
Plastik. 
brachten 
ein 
Gefühl 
für 
Lebenskraft 
und 
Naturwahrheit 
mit, dem jene befangene, ängstliche Behandlung nicht mehr 
zusagte. Wie das Blattwerk der Kapitäle die COXIVBIIllOIIBllG 
Form ablegte und sich einheimischen Pflanzen näherte, 
vmlrden auch die menschlichen Gestalten freier und natür- 
licher aufgefasst. Die Architektur kam ihnen dabei ent- 
gegen, denn auch sie hatte nun breitere und vollere Formen 
angenommen; die Statuen der Portale brauchten nicht mehr 
den schlanken enggestellten Säulen angeheftet zu werden, 
sondern fanden ihre Stelle in geräumigen Höhlungen, und 
statt des gedrückten Tympans begünstigte ein hoch auf- 
steigendes Bogenfeld die Entwickelung des Reliefs. Der 
ganze Bau athmete Luft und Freiheit und die Plastik folgte 
daher auch hier nur dem Impulse der Architektur. Auch 
die Gegenstände wurden andere; während jener strengere 
Styl sich mit einfacher Nebeneinanderstelltmg der Figuren 
begnügt hatte, gab jetzt der ganze Umfang des Portals 
einen reichen zusammenhängenden Gedankeninhalt, in wel- 
chem auch die Monatsbilder der bürgerlichen Beschäfti- 
gungen und Scenen von verständlich moralischer Bedeutung 
Raum fanden. Es konnte nicht ausbleiben, dass diese neue 
Generation sich in einem Gegensatze gegen die ältere fühlte 
und demselben Ausdruck gab. Daher sehen Wir nun plötz- 
lieh statt jener hageren und steifen Glieder Gestalten von 
dreister, breiter Haltung, statt der matt oder demüthig ge- 
senkten Köpfe ein frei gehobenes, muthiges Antlitz, statt 
der mühsam gelegten Falten volle, weite, fliessende Ge- 
wänder, und alles dies mit einer Derbheit und Naivetät, 
die den schroffsteil Kontrast gegen jene Befangeilheit bildet, 
und die nachher in mannigfacher Weise gemildert wurde. 
Eine Uebersicht über den chronologischen Gang dieser 
Entwickelung gewähren uns die Bildwerke auf den Grab- 
steinen. Die Gestalten der englischen Könige Heinrich II.
	        
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