Strenger
Styl.
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alle Kennzeichen des früheren byzantinisirenden Styls. Die
Sculptur war bisher in diesen Gegenden noch wenig geübt,
ihre Leistungen scheinen sich auf die rohen Thiergestalten
und Köpfe, welche als Consolen dienten, beschränkt zu
haben. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass die Er-
bauer jener Kirchen, indem sie das Bedürfniss plastischen
Schmuckes empfanden, sich, wie dies Wenigstens Suger
nach seinem Berichte in allen Kunstzweigen that, der Hülfe
fremder herbeigerufener in der Plastik erfahrener Künstler
bedient, und diese aus der nächsten plastischen Schule,
also aus Burgund und dem südlichen Frankreich genommen
haben werden, wo, wie wir früher gesehen haben, strenge,
byzantinisireilde Formen üblich waren. Allein jedenfalls
kann dies die Eigenthümlichkeiteil dieser nordischen Sculp-
turen nicht völlig erklären, da ihr Styl in der That ein
anderer und noch strengerer ist, als jener südliche. Auch
lassen die Formen keinen Zweifel, unter welchem Einflusse
sie entstanden sind; der architektonische Sinn, der in diesen
Gegenden so mächtig war, bemächtigte sich hier auch der
Plastik. Die übermässige Länge der Gestalten hängt damit
zusammen, dass die Säulen der Portalwände schlanker ge-
worden sind, sie sind gleichsam mit diesen empor-geschos-
sen; die Falten der Gewänder sind entweder senkrecht oder
parallel, wie die Kannellureil der Säulenschäfte, oder fast
horizontal sich wiederholend. Es waren Bauleute, welche
den Meissel handhabten, und auch hier sich von dem Ge-
setze des WVinkelmaases nicht losreissen konnten. Freilich
machen nun diese dünnen, ausgereckten Gestalten mit
ihren wenig belebten, herabhängenden Köpfen auf uns den
Eindruck ascetischer Abtödtung; aber gewiss war dieser
nicht beabsichtigt. Weder Sugers Bericht lässt darauf
schliessen, noch dürfen wir es bei den Arbeitern voraus-
setzen. Allerdings war die Tradition typischer Würde bei