Neuntes
Kapitel.
Die
Plastik.
Im Anfange der Epoche eilte die Malerei der Sculptur
voraus; durch die Miniatur von den neuen geistigen Re-
gungen belebt, als Wandmalerei heilsamer architektonischer
Zucht unterworfen, schien sie im Besitze aller Mittel zur
Ausbildung eines neuen, den Bedinfnissen des Zeitalters
entsprechenden Styls. Allein das natürliche Gesetz, welches
der Sculptur den Vorrang giebt, war Wohl moditieirt, aber
nicht aufgehoben; ein fester, bleibender und maassgebender
Styl konnte nur durch die Darstellung in voller körperlicher
Rundung erlangt werden. "Sobald diese ihn ausgebildet
hatte, etwa um 1250, zögerte die Malerei nicht, sich ihm
zu unterwerfen, wie wir denn dies bei der Betrachtung
ihrer einzelnen Zweige wahrgenommen haben.
Freilich hatte die Sculptur einen längeren Weg zu durch-
schreiten, eine strengere Schule durchzumachen. Ehe sie
es wagen durfte, sich der Natur zu nähern, musste sie sich
völlig der ursprünglichen Itohheit entwinden, Maass und
Verhältnisse an der Architektur erlernen, sich den geraden
Linien und den scharf geschnittenen Profilen dieser herr-
sehenden Kunst anbequemen. Dadurch erklärt sich die auf-
fallende Erscheinung, dass, während die Malerei schon
freieren Regungen Raum giebt, die Sculptur sich nach der