658
Deutsche
Wandmalerei.
Wandmalereien nicht auf momentane Wirkung, sie ver-
langten sinnende Betrachtung, sie setzten einen Text voraus,
den der Beschauer mitbringen oder ablesen und unter ihrer
Führung langsam durchdenken sollte. Die Anordnung un-
terscheidet sich aber von späteren Compositionen durch ihre
Einfachheit; sie ist nur schriftgemäss, ruhig forterzählend,
nicht nach scholastisch-architektonischen Gegensätzen ge-
gliedert. Eben so wenig bemerkt man den Hang zum
Phantastischen und Ungeheuerlichen, oder die naturalistische
Naivetät der Miniaturen. Der Künstler ist durchaus ernst
und seiner Aufgabe auf geradestem Wege folgend. Die
Raumvertheilung ist ihm nicht überall geglückt; die ein-
zelnen Compositionen sind oft ziemlich ungeschickt in die
freilich unbequemen dreieckigen Felder der Gewölbkappen
gedrängt. Aber die Zeichnung ist fest, verständig und
durch ihre Einfachheit grossartig, das Nackte zwar steif
und mager, aber keinesweges schematisch; die {Gewänder
sind faltenreich, doch ohne Ueberladung, die Bewegungen
lebendig und sprechend. Die Verhältnisse sind nicht über-
mässig lang, die Gesichter haben wohl das mehr zuge-
spitzte Oval bei breiterem Überkopfe, aber doch nicht die
charakteristisch hervorstehenden Backcnknochen des byzan-
tinischen Styles; überhaupt ist ein eigentlich byzantinischer
Einfluss nicht bemerkbar 95). Wohl aber zeigen die knappe,
lakonische Weise des Ausdrucks, die oft reliefartige An-
ordnung, die Gewandmotive, noch Ueberreste antiker 'l'ra-
dition. Die Gestalt des Simson ist fast die eines antiken
Heros und die Gruppe des von den Bossen geschleiften
Märtyrers Hippolyt könnte, mit Ausnahme der steifen Ge-
4'] Reichensperger glaubt an der aufgehobenen Hand des Erlösers
den griechischen Ritus des Segnens zu erkennen; mir scheint auch
hier die gewöhnliche lateinische Form beabsichtigt und nur durch eine
llngeschickte Verkürzung undeutlich geworden zu sein.