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Französische
liliniaturmalerei.
ter, mit feinerer Behandlung der Farben, geringeren Ver-
stössen der Zeichnung dagegen aber auch minder aus-
drucksvoll und lebendig. Das Bestreben nach formaler,
technischer Eleganz ist hier stärker als in Deutschland, das
Bediirfniss individueller, geistiger Aeusserung geringer. Die
Guaschlnalerei ist hier gleich vom Anfange der Epoche an
häufiger angewendet und besser ausgebildet, aber die typi-
schen Gestalten haben nicht die ergreifende Würde, die
allegorischen Darstellungen nicht die Tiefe, die Initialen
nicht den phantastischen Reichthum und freien Schwung
der Linien, wie in den deutschen Miniaturen. Dagegen
bemerkt man in der Haltung der Figuren frühe das Gefühl
für Anstand und Zierlichkeit, in dcn Genrebildern und ko-
mischen Figuren, welche hier schon häufiger vorkommen,
eine behagliche Heiterkeit. Dies alles finden wir schon in
der Chronik des Klosters Cluny, welche von 1188-1215
fortgesetzt ist, in einem aus dem ersten Drittel des drei-
zehnten Jahrhunderts stammenden Psaltcr, Welcher der
Mutter Ludwigs IX. angehört haben soll, in einem etwas
späteren Psalter, wo die statuarische Haltung der Figuren
und die den Glasgemältlen ähnliche Anordnung dcr Gruppen
schon einen Einfluss der gothischen Architektur zeigt, und
endlich in einer etwa um 1'250 geschriebenen französischen
Uebersetzung der Apokalypse wir). In dieser ist etwas mehr
dramatisches Leben, aber wir vermissen doch auch hier
1') Einen Psaltcr von 1209 -1'2ÖO, der in Frankreich, aber nach
den darin vorkommenden Heiligen für England gemalt ist, jetzt im
brittischen Museum (Addit. 16,975] schildert Waagen in der englischen
Bearbeitung seines Reisewerks (Treasures of Art in Great Britain, Lon-
don 1854. V01. I, p. 111) als eine ausgezeichnete Leistung dieser Art.
w) Vgl. über diese und die später erwähnten Manuscripte ans-
führlichere Nachrichten, freilich aber auch zum Theil von den meinigen
abweichende Urtheile bei Waagen, K. und K. in Frankreich III, 234 ff-
Die zweite der genannten Handschriften befindet sich in der Bibliothek
des Arsenals, die übrigen sind in der grossen Bibliothek zu Paris.