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Deutsche
Miniaturen.
freuden und sein Liebchen, die Nonne durch die buhle-
rischen Reden des Priesters, die Mönche durch ihren ver-
borgenen Schatz und durch die Weichliche Ruhe des Bettes
herabgezogen. Selbst der Einsiedler, der schon hoch oben
steht, erliegt der letzten Versuchung, der übermässigen
Freude an seinem Gärtchen. Sie fallen alle den lauernden
Teufeln entgegen, während nur die christliche Liebe, die
Caritas, von Engeln getragen, zum höchsten Lohne gelangt.
Die Herrlichkeit der triumphirenden Kirche, die Thaten des
Antichrists, das jüngste VGericht mit Hölle und Himmel
werden dann, jeder dieser Gegenstände auf mehreren Blät-
tern, dargestellt, und andere vielfach interessante Allegorien
hinzugefügt.
Der künstlerische Werth dieser Malereien ist freilich
sehr bedingt. Die Zeichnung ist dilettantisch ungleich und
unvollkommen, die Gesichter sind oft ausdruckslosf die
Augen gross und stier, die Gewandfaltexl nach byzantini-
sirender Weise gehäuft und oft unrichtig gelegt. Die
ziemlich dunklen Farben, mit denen die Blätter gedeckt
sind, machen keinen Anspruch auf Kraft oder Harmonie.
Von Individualität hat die Malerin noch keine Vorstellung;
auf dem Schlussblatte, wo alle zu ihrer und ihrer Vorgän-
gerin Zeit im Kloster lebenden Nonnen brustbildlich und
mit Beischrift des Namens dargestellt sind, gleicht eine
völlig der andern ohne eine Spur von Charakteristik. Aber
dennoch erkennt man an anderen Stellen eine scharfe Beob-
achtung des Lebens, und ein Gefühl für die ethische Be-
deutung der Formen. Die heiligen Gestalten sind in alter-
thümlicher Tracht und Haltung nicht ohne VVürde darge-
stellt, bei anderen Gegenständen dagegen Kleidung und
Geräthe nach damaligem Gebrauche sehr kenntlich gegeben.
Die Gebehrden und Bewegungen des Körpers sind durch-
weg sehr lebendig und sprechend; oft findet man feine,