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Gothischer
Styl
in
Deutschland.
Kaufherren ein Antrieb, ihre Stadt durch grossartige Bauten
zu schmücken, zu denen sich eine Veranlassung ergab, als
im Jahre 1276 die bisherige, wahrscheinlich kleine Pfarr-
kirche abbrannte. Lübeck hatte damals schon ansehnliche
Factoreien in Brügge, Antwerpen und London; Frankreich,
und die prachtvolle Architektur der westlichen Länder war
den reisenden Kaufleuten nicht unbekannt geblieben, und
diese wurde das Vorbild, mit dem sie bei der Ausführung
ihrer städtischen Kirche wetteiferten, wie einst die Pisaner
bei Erbauung ihres Domes mit den Kuppelbauten des Orients.
Der Bau muss unmittelbar nach dem Brande begonnen und
sehr rasch betrieben sein, denn schon in den Jahren 1304
und 1310 wurden die beiden westlichen Thürme begonnen,
wie darin befindliche Inschriften bezeugen. Er ist ganz in
Backsteinen ausgeführt, und daher ohne jene reichen V er-
zierungen namentlich des Aeusseren, welche nur in natür-
lichen Steinen gelingen, aber von so schönen Verhältnissen
und so luftigem und freiem Aufschwunge, dass man diesen
Mangel vergisst. Die Anlage ist mächtig und von bedeu-
tenden Dimensionen. Zwei Thürme, gleichmässig vollendet,
steigen auf der Westseite in unverjüngten und nur durch
ihre Fensterpaare verzierten viereckigen Stockwerken, mit
schlankem, von vier Giebeln eingeschlossenen, allerdings
undurchbrochenen Helme bis zu der ansehnlichen Höhe von
431 Fuss empor, und begränzen den Giebel des Mittel-
schilfes. Wie in Nürnberg an der St. Lorenzkirche setzte
sich also auch hier das bürgerliche Selbstgefühl über das
Herkommen fort und gab der blossen Pfarrkirche den stol-
zen Thurmschmuck, der gewöhnlich nur den Kathedralen
und reichen Stiftskirchen zu Theil wurde. Höchst Wahr-
scheinlich geschah es in Lübeck gerade im Wetteifer mit
dem Dome. Hinter den 'l'hürmen erstreckt sich die Kirche
in
Kreuzgestalt,
deren
Mitte
llllf
durch
kleines Thürm-
ein