Die
darstellenden
Künste.
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Welche den Schein der Wirklichkeit giebt und im Dienste
der Kirche auftrat, musste diese höhere Regel, Welche jene
nur voraussetzten, an sich selbst durch ihre architektonische
Strenge aussprechen. Diese findet sich daher auch an den
Werken, welche nicht mit der Architektur selbst zusam-
menhängen, namentlich an den Miniaturen der Manuscripte,
und zeigt auch hier das Element des abstracten Verstandes,
das in der Scholastik seinen bestimmtesten Ausdruck hat,
aber im tiefsten Wesen der Zeit begründet War. Gerade
auf dieser Verbindung eines strengen stylistischen Princips
mit dem erwachenden Naturgefühl beruht die Eigenthüm-
lichkeit und der Werth der Darstellungen dieser Epoche.
Sie erhalten dadurch den Ausdruck einer jugendlichen und
anspruchslosen Naivetät. Die Natur macht sich noch nicht
mit eigenwilliger Gewalt geltend, sie erkennt die höhere
Regel an und unterwirft sich ihr, sie äussert sich wie der
zarte Hauch, mit dem die ersten Frühlingskeime den Wald
überziehen, wie das leichte Erröthen auf jungfräulichen
Zügen.
Alle diese Eigenschaften der Architektur und der dar-
stellenden Künste sind indessen nicht gleich anfangs im
vollen Maasse vorhanden, sondern werden allmälig ausge-
bildet und haben erst am Schlusse dieser Epoche eine ge-
wisse Reife erlangt. Diese Entwickelung zu beobachten,
ist die Aufgabe der folgenden Kapitel.