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Gothischer
Styl
in
Deutschland.
in ihren hohen zwei- und viertheiligen Fenstern völlig
ausgebildetes Maasswerk von reinster und edelster Art.
Wir sehen daher an diesen Domen den gothischen Styl
zwar nicht mit der genauen Nachbildung französischer
Weise, wie am Rheine, aber doch mit näherem Anschluss
an dieselbe, als in Hessen und Westphalen, und mit voll-
stem Verständniss seines Princips angewendet. Nur darin
bemerken wir einen wesentlichen Unterschied, dass statt
des Kapellenkranzes (mit Ausnahme des frühen Versuchs
in Magdeburg) stets die einfache polygone Chornische an-
gewendet lmd das Kreuz einschiffig gehalten ist, dass also
statt der breiten und massenhaften Grundverhältnisse der
französischen Kirchen die Längenrichtung verwaltet; eine
Aenderung, welche wohl zunächst aus Sparsamkeit und
aus der Gewöhnung an sehlichtere Formen hervorging,
zugleich aber doch auch wenigstens in der Erscheinung
des Aeusseren dazu beitrug, das Moment schlanken, ver-
ticalen Aufsteigens zu betonen.
An den anderen Kathedralen und Stiftern des Sachsen-
landes bestanden die älteren Kirchen noch in guter Erhal-
tung, so dass an ihnen wenigstens keine grösseren Bauten
in dieser Zeit unternommen Wurden. Doch zeigt der schöne
Kreuzgang am Dome zu Erfurt, wie sich hier unmit-
telbar an die Ausübung des reichen spätromanischen Styles
eine freie und elegante Gothik anschloss. Einzelne der
viertheiligen Lichtöifnungen haben nämlich noch ganz ro-
manische Säulen, das Eckblatt der Basis und die üppig
ausladenden Kelchkapitäle mit romanischen Ranken, doch
ist das Bogenfeld schon durch offene Kreise durchbrochen.
Andere und zwar an derselben Seite des Kreuzganges zei-
gen dagegen reinen gothischen Styl, Säulchen mit schlan-
ken, reizend ausgeführten Kapitälen, freie Blattkränze,
wohl gebildetes, wenn auch noch primitives Maasswerk.