Architektur.
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ihrer technischen Aufgabe vollauf zu thun hatten. Sie ver-
fuhren zwar freier als die früheren geistlichen Baumeister,
sie kamen nicht aus der Klosterschule, Waren nicht von
den Traditionen der Antike beherrscht, liebten es, sich in
neuen Erfindungen zu versuchen. Aber sie waren Empi-
riker, die nicht luftigen Theorien folgten, sondern von der
erlernten Form ausgingen, diese nur zu verbessern suchten
und sich daher mit langsamen Schritten von ihr entfern-
ten. Sie führten überdies selbst den Meissel, ihre Hand
hatte sich mit dem Steine vertraut gemacht, ihm die For-
men abgelernt, welche ihm am Natürlichsten Waren; sie
dachten gleichsam im Geiste des Materials. Daher der
unschätzbare Vorzug ihrer Arbeiten, dass sie nichts ver-
hüllten, dass alle ihre Formen eine unmittelbare, natürliche
Wahrheit hatten. Ueberdies gingen sie aus dem Volke
hervor, und zwar aus einem Volke von noch sehr ein-
fachen Sitten, das der Natur nahe stand und mit ihrer
Weise der Production bekannt war; sie bildeten, daher ein
so feines Gefühl für organische Entwickehmg der Form
aus, wie es mit Ausnahme der Griechen kein anderes
Volk gehabt hatte. Ihre Werke machen den Eindruck
innerer N othwendigkeit , sie scheinen aus dem Boden zu
wachsen, wie die Erzeugnisse der Natur selbst. Die Will-
kür, welche in den Ritterdichtungeil herrscht und ihnen
selbst einen Reiz verleihet, fand hier keine Stelle.
Um so merkwürdiger ist es, dass diese schlichten Mei-
ster das kühne und künstliche Constructionssystem des
gothischen Styles erfanden, welches dem Steine statt der
horizontalen Lagerung auf der Fläche des Erdbodens den
Ausdruck aufstrebender Kraft verleihet, lllld so von den
unmittelbaren Andeutungen der Natur weit abweicht. Al-
lerdings lag diesem luftigen Systeme eine Weise Benutzung
statischer Gesetze zum Grunde, und es entstand nicht aus