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Gothischer
Styl
in
Deutschland.
Er konnte sich daher, auch als die oben erwähnten ur-
kundlichen Entdeckungen schon zum Theil bekannt ge-
worden waren, nicht von seiner älteren Ansicht trennen,
und vertheidigte sie auch da noch mit liebenswürdiger
VVärme k).
Sieht man indessen näher zu, so wird das Verdienst
der Erfindung des vollständigen Planes auch durch die
neuere Ansicht keinesweges verkleinert. Steht es einmal
fest, und es kann nicht geläugnet werden, dass der
.l{ölner Chor im Wesentlichen eine Nachbildung des Chores
von Amiens ist, dass also der Meister, welcher den Ge-
sammtplan zeichnete, diesen Chor adoptirte und aus ihm
einen umfassenden und neuen Grundplan organisclfzu ent-
wickeln wusste, so ist es in der That ziemlich gleichgül-
tig, 0b er jenen Chor nur in Amiens kannte oder schon
in Köln in voller Ausführung vor sich hatte. Die Aufgabe
war in beiden Fällen im Vveseirtliehen dieselbe, und beide
Voraussetzungen unterscheiden sich nur (iarin, dass der
(ieutsche Meister im ersten Falle jenen Chor aus eigenem
Antriebe, im zweiten gezwungen annahm. Allein diese
Verschiedenheit ist in der 'l'hat nicht bedeutend. Die Ar-
chitektur geht überall von gegebenen Verhältnissen aus,
der Zwang, sieh an bereits Begonnenes anzusehliessen, ist.
ihr keinesweges naehtheilig. Vor Allem aber war dies
den Baumeistern des Mittelalters leicht, da sie überhaupt
von der Prätension völliger Originalität sehr entfernt und
unter der Herrschaft des gothischen Styles nach festen
Principien und im engsten Schulzusammenhange zu arbeiten
gewohnt Waren. Diese Gemeinsamkeit ganzer künstlerischer
Generationen ist aber, wenigstens für die Architektur, etwas
sehr viel Grösseres und Schöneres, als die Genialität eines
vereinzelten, seine Zeitgenossen Weit überragenden Künst-
D ombl att
Nro.
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