Architektur.
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dem harten Stoffe und mit eingewurzelten technischen Ge-
wohnheiten zu kännpfen hatte, und nur mit langsamen
Schritten Weiter ging, schwang sich die Poesie auf den
Flügeln des Wfortes und im Bewusstsein gefahrloser Un-
ternehmung kühn und leicht empor, und gab schon ihr
Bestes und Höchstes, als jene sich erst anschickte, die
letzten Stufen zu erklinnnen. Da konnte es dann nicht
fehlen, dass sie, die, wenn auch auf die ritterlichen Kreise
berechnet, doch kein Geheimniss war und eben so utenig
der Geistlichkeit als den leicht erregbaren Künstlern fremd
blieb, diese begeisterte und steigerte, sie antrieb, Grösseres
zu unternehmen und mit jenen Ritterdichtungen zu wett-
eifern. In der That sind die Spuren dieser Einwirkung
ungeachtet der grossen Verschiedenheit des Stoffes und
der Aufgaben kaum zu verkennen, sie treten besonders in
der zweiten Hälfte der Epoche hervor, wo der Widerstand,
den das spröde Material entgegensetzte, mehr ilbQlWNYlllldBl]
war. Es ist überall dieselbe Geiiihlsrichttmg; in dem Auf-
schwunge der schlanken Glieder und der Weitgespann-
ten Gewölbe dieselbe Kühnheit, wie in den ritterlichen
WVagnissen, in den weichen Profilen dieselbe Empfindung,
wie in den Liebesklagen, in den Fialen und Strebebögen
der hoehstrebende, in allen Theilen der kriegerische Sinn,
welcher die Ritter-Welt (lurchdrang. Und endlich findet sich
(selbst im Technischen eine gleiche Achnlichkeit. Der rast-
lose Unternehmungsgeist, welcher die Baumeister antrieb,
stets Neues und Ueberraschendes zu geben, eine gewisse
Eilfertigkeit de], Welche sich auch in den prachtvollsten
Die lange Dauer mancher Bauten war nur eine Folge von Un-
terbrechungen, welche durch den sparsamen Zufluss der Mittel oder
aus anderen Ursachen entstanden. Die Arbeit selbst wurde rasch voll-
führt. Sugefs bedeutende Bauten in St. Denis waren in wenig Jahren
vollendet. In dem 1175 begonnenen Chore der Kathedrale von Can-
terbury konnte der Dienst schon im Jahre 1'180 beginnen; der Bericht
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