482"
Früheste
gothische
Bauten
in
Deutschland.
hat sogar im Bogenfelde nicht wie die anderen historische
Reliefs, sondern einen bloss decorativen Kleeblattbogen von
Weinlaub. Sämmtliehes Laubwerk ist aber keinesweges
romanisch stylisirt, sondern sogar leichter, kühner und mit
deutlicherer Nachahmung einheimischer Pflanzen gearbeitet,
als in den gleichzeitigen französischen Kirchen. Wir er-
kennen also in allen Beziehungen einen Meister, der sehr
frei und selbstständig verfuhr. Er hatte sich mit dem fran-
zösiseh-gothischen Style vertraut gemacht und war für
ihn begeistert, aber diese Begeisterung machte ihn nicht
zum sclavisehen Nachahmer. Schon die Benutzung eines
blossen Chores zu der Rotundengestalt der Liebfrauenkirehe
ist so sinnreich und genial, dass sie einer völlig neuen
Schöpfung gleichgestellt werden kann. Erwägt man dabei,
dass die Choranlage von St. Yved gewissermaassen die
Mitte zwischen dem französischen Kapellenkranze und dem
in Deutschland üblichen einfachen Chorsehlusse hält, dass
sie in Frankreich ganz isolirt dasteht, dass dagegen in
Deutschland später und, soviel wir ersehen können, unab-
hängig von St. Yved und von der Liebfrauenkirehe, bloss
durch die Verschmelzung gothischci" und deutscher Ele-
mente mehrmals ganz ähnliche Anlagen entstanden sind er),
so könnte man auf die Vermuthung kommen, dass schon
jene französische Choranlage das Werk eines deutschen,
aber in französischer Schule gebildeten Meisters gewesen,
An der Stiftskirche in Xanten und in etwas vereinfachter
Weise an den Kirchen zu Ahrweiler und Oppenheim, die sämmtlich
unten besprochen werden. Ausserhalb Deutschlands finden sich solche
Ohoranlagen in Belgien und in Lothringen; die von St. Bavo in Gent
gleicht genau der von Xanten (Wiebeking Taf. 86), die von St. Gen-
goul in Toul genau der von Oppenheim. Indessen gehörte Gent wie
Xanten damals zur Kölner, Tnul wie Oppenheim zur Mainzer Provinz,
so dass hier unbedenklich eine durch geistliche Verbindung vermittelte
Einwirkung der östlirhen Kirchen auf die westlichen angenommen wer-
den kann.