Die
Liebfrauenkirche
in
Trier.
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diese Kapellen gewöhnlich in länglicher Gestalt an der
Ostseite der Kathedralen anzubringen. Hier nöthigte die
Lage der älteren IGostergebäude zu einem anderen Plane;
man hatte über einen Raum auf der Südseite des Domes
von etwa quadratischer Gestalt zu verfügen, der zu einer
kreisrunden oder polygonen Anlage einlud. Dies letzte lag
dem Geiste des Uebergangsstyles nahe; man würde, wenn
man den alten Traditionen gefolgt Wäre, die Mauern als
Seiten eines Polygons mit Anschluss einer Chornische ge-
bildet, Lmd eine mittlere Kuppel auf Pfeilern, Welche den
Winkeln des Polygons entsprachen, errichtet haben. Ein
solcher Plan genügte jedoch den Ansichten des Meisters
nicht; er hatte ohne Zweifel seine Schule in Frankreich
gelnacht, war von dem Geiste des gothischen Styles durch-
drungen und kam dadurch auf den Gedanken, die Um-
fangsmauern nicht als einfache Polygonseiten zu bilden,
Sondern jede derselben Wieder in polygoner Gestalt l1er-
vertreten zu lassen und diese einzelnen Nischen in der
Weise des französischen Kapellenkranzes zu verbinden.
Die gewöhnliche Form desselben War aber doch dem
Zwecke nicht entsprechend; eine innere Pfeilerstellung nebst
Umgang und dahinter angebrachten Kapellen gleicher Grösse
würde den inneren Raum zu sehr beschränkt haben und
liess sich mit der polygonen Gestalt, welche eine wenig-
riose majoris in Treveris, que caput mater et magistra est
omninm ecclesiarum provineie Trevirensis, welche in Folge des Alters
eingestürzt und in schönem und grossartigem Style neu erbaut sei,
aber der Vollendung bedürfe (vgl. die Urkunde selbst auf dem letzten
Blatte des ersten Bandes der neuen Ausgabe der Geste. Trevirorum].
In dieser Weise konnte er aber nur von dem Dome selbst reden, den
er, wenn auch nicht ganz genau, aber dem vorherrschenden Gebrauche
entsprechend als Kirche der heiligen Jungfrau benennt. scheint
daher, dass bei der Redaction des Ablassbriefes der Gegenstand, wel-
eher der Vollendung bedurfte, nicht genau bekannt war, was in ähn-
lichen Urkunden nicht selten vorkommt.