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Historische
Einleitung.
teren Tagen übersehene Wunder, ihnen plötzlich aufgeht,
dass sie sich mit Erstaunen im Besitze des mächtigsten
Mittels zum Gedankenaustausch und zur Erregung des
Gefühls sehen, und es mit Anstrengung aller Kräfte und
mit Aufmerksamkeit auf die Verschiedenheit des Klanges
gebrauchen. Beide Ursachen wirkten jetzt gemeinschaftlich
zu Gunsten der Nationalspracheil. In demselben Augen-
blicke, WO die Laienwelt von neuen Gedanken und Ge-
fühlen mächtig erregt War, machte sie auch die Entdeckung,
dass ihre Sprache, die bisher verachtete und von der latei-
nischen zurückgedrängte, nicht bloss bildungsfähig, son-
dern für den Ausdruck eben dieser Gedanken und Gefühle
an
sich
und
durch
die Musik ihres Tonfalls und des Reimes
fähiger sei, als jene. Daher bemächtigten sich denn alle
Stände dieses neuen Besitzthums mit Begeisterung. Von
den Liedern, die in den unteren Schichten des Volkes um
diese Zeit entstanden, ist, wenigstens in ursprünglicher
Form, nichts auf uns gekommen; ohne Zweifel Waren es
mehr Natur-laute, als künstlerisch durchbildete Dichtungen.
Die Gelehrten hielten sich im Ganzen dieser Bewegung
fern, obgleich auch sie, WO es darauf ankam, den innig-
sten Empfindungen Worte zu leihen, die Landessprache
nicht verschmäheten, wie Wir denn Wissen, dass Abälards
Lieder an Heloise, die Liebeslieder des Meisters der ah-
stractesten Philosophie an die gelehrteste Frau, Gemeingut
wurden und auf allen Strassen von Paris erschallten s).
f) Heloise selbst berichtet es: Frequenti carmine tuam in ore
emnium Heloisam ponebas; me plateae OIIIIIBS, me domus singulae re-
sonabant. Sie bemerkt dabei, dass unter allen Eigenschaften Abälards,
durch welche er die Herzen der Frauen gewann, keine mächtiger
wirkte, als seine Sängergabe (dictandi et cantandi gratia). Sie nennt
seine Lieder amatorio metro vel rhytmo verfasst. (Petri Abaelardi
Opp. Epist. II, p. 46.) Die von Greith publißirtßll Telläiösßn HYmYlßll
(welche dieser als Allegorien für seine Liebe betrachtet) könnten hie-
nach wohl schwerlich gemeint sein. Auch war das Verständniss des