Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Entstehung und Ausbildung des gothischen Styls (Bd. 5 = [2], Bd. 3)

28 
Historische 
Einleitung. 
teren Tagen übersehene Wunder, ihnen plötzlich aufgeht, 
dass sie sich mit Erstaunen im Besitze des mächtigsten 
Mittels zum Gedankenaustausch und zur Erregung des 
Gefühls sehen, und es mit Anstrengung aller Kräfte und 
mit Aufmerksamkeit auf die Verschiedenheit des Klanges 
gebrauchen. Beide Ursachen wirkten jetzt gemeinschaftlich 
zu Gunsten der Nationalspracheil. In demselben Augen- 
blicke, WO die Laienwelt von neuen Gedanken und Ge- 
fühlen mächtig erregt War, machte sie auch die Entdeckung, 
dass ihre Sprache, die bisher verachtete und von der latei- 
nischen zurückgedrängte, nicht bloss bildungsfähig, son- 
dern für den Ausdruck eben dieser Gedanken und Gefühle 
an 
sich 
und 
durch 
die Musik ihres Tonfalls und des Reimes 
fähiger sei, als jene. Daher bemächtigten sich denn alle 
Stände dieses neuen Besitzthums mit Begeisterung. Von 
den Liedern, die in den unteren Schichten des Volkes um 
diese Zeit entstanden, ist, wenigstens in ursprünglicher 
Form, nichts auf uns gekommen; ohne Zweifel Waren es 
mehr Natur-laute, als künstlerisch durchbildete Dichtungen. 
Die Gelehrten hielten sich im Ganzen dieser Bewegung 
fern, obgleich auch sie, WO es darauf ankam, den innig- 
sten Empfindungen Worte zu leihen, die Landessprache 
nicht verschmäheten, wie Wir denn Wissen, dass Abälards 
Lieder an Heloise, die Liebeslieder des Meisters der ah- 
stractesten Philosophie an die gelehrteste Frau, Gemeingut 
wurden und auf allen Strassen von Paris erschallten s). 
f) Heloise selbst berichtet es: Frequenti carmine tuam in ore 
emnium Heloisam ponebas; me plateae OIIIIIBS, me domus singulae re- 
sonabant. Sie bemerkt dabei, dass unter allen Eigenschaften Abälards, 
durch welche er die Herzen der Frauen gewann, keine mächtiger 
wirkte, als seine Sängergabe (dictandi et cantandi gratia). Sie nennt 
seine Lieder amatorio metro vel rhytmo verfasst. (Petri Abaelardi 
Opp. Epist. II, p. 46.) Die von Greith publißirtßll Telläiösßn HYmYlßll 
(welche dieser als Allegorien für seine Liebe betrachtet) könnten hie- 
nach wohl schwerlich gemeint sein. Auch war das Verständniss des
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.