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Der
Cistercienserorden.
Extreme nicht stehen bleiben. Man brauchte bald geräu-
mige, zur Aufnahme zahlreicher Pilger geeignete Kirchen,
grosse, der Gastfreiheit des Ordens entsprechende Räum-
lichkeiten, strebte vermöge des praktischen und verstän-
digen Sinnes nach Solidität und Zweckmässigkeit, und
wählte aus diesem Grunde die Kunstverständigen unter den
Brüdern zu Baumeistern, bei denen dann bald die Neigung
erwachte, mit der erforderten Einfachheit eine gewisse An-
muth der Formen zu verbinden. Dazu kam, dass der neue
Orden schon als solcher keine Veranlassung hatte, dem
gleichzeitig ileuaufkommenden Style abhold zu sein. Der
kirchliche Luxus, gegen den sich die Gründer von Citeaux
aufgelehxit hatten, gegen den der heil. Bernhard und seine
Jünger eiferten, war der des romanischen Styls, die An-
häufung von müssigem oder schwerverständlichem Bildwerk,
die Verschwendung von edeln Metallen und kostbaren
Stoffen. Der gothische Styl war, besonders bei seinem
erstenuAuftreten, keuscher, er strebte ebenfalls nach einer
gewissen Einfachheit, wenn auch aus anderen Gründen, er
athmete einen Geist der Ordnung, Consequenz und Zweck-
mässigkeit, Welcher dem strengen, militärisch disciplinirten
und Wirthschaftlichen Sinne der Cistercienser nicht fremd
war. Ihre ersten Klöster lagen in Burgund, zum Theil an
der Gränze der Champagne, ihre Kolonien verbreiteten sich
bald auf dem heimathlichen Boden des neuen Styles. Sie
nahmen daher den Spitzbogen, die Strebepfeiler und manche
andere Mittel der Solidität oder besserer Beleuchtung aus
dem gothischen Systeme an, Welche die Billigung der
Stimmführer des Ordens erhielten und ein Gemeingut des-
selben wurden. Dabei aber Waren sie keineswegesblinde
Nachahmer. Manche Eigenthümlichkeiten des frühgothi-
sehen Styles wiesen sie mit Entschiedenheit zurück. Die
Gallerien über den Seitenschilfen erschienen überflüssig;