Volkscharakter.
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findet. Während die Bheinländer manche Eigenschaften
mit den romanischen Völkern gemein haben, ihr rascher
fiiessendes Blut, ihr leicht erregbarer Sinn sie für Fremdes
und Neues empfänglich, nach Lebensgenuss und heiterem
Schmuck begierig macht, ist in Westphalen der ruhige,
verständige, nüchterne Sinn des niedersächsischen Stammes,
das treue, fast eigensinnige Festhalten am Hergebrachten
reiner rmd entschiedener ausgeprägt als in irgend einer
anderen Gegend. Früher bekehrt und civilisirt als das
östliche Deutschland besass Westphalen schon im elften
Jahrhundert reiche und gelehrte Klöster, deren Herrschaft
sich zum Theil über weite Gebiete erstreckte, bischöfliche
Schulen, in denen Wissenschaft und Kunst eifrige Pfiege
erhielten. Aber so lange die Bewohner des Landes fast
ausschliesslich auf ihren einsamen Höfen hauseten, blieb
diese Bildung auf jene geistlichen Mittelpunkte beschränkt,
und erst in dieser Epoche, als die Städte zahl- und volk-
reicher, und diuch die diesem Stamme eigene Betriebsam-
keit und Sparsamkeit mächtiger geworden waren, erwachte
ein höheres geistiges Leben, in welchem sich die Eigen-
thümlichkeiten des Volkscharakters bestimmter entwickelten
und Gestalt annahmen. Wie wir gesehen haben, war die
Wölbung, deren Vortheile dem praktischen Sinne dieser
Gegend vorzugsweise einleuchteten, schon früh in Auf-
nahme gekommen. Ihre ausgedehntere Anwendung führte
jetzt zu weiteren Fortschritten, in welchen die Rücksicht
auf einfache Zweckmässigkeit verwaltet, zugleich aber auch
der Freiheitssinn lmd die individuelle Selbstständigkeit,
Welche den Bewohnern dieser Gegend eigen ist, sich in
Sehr mannigfaltigen Formen und Versuchen reicherer Aus-
stattung, immer aber mit einer charakteristischen Einfachheit
und Derbheit des Schmuckes äussert. Dies Alles ergab denn
einen Uebergangsstyl, der aber von dem rheinischen sich