Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Entstehung und Ausbildung des gothischen Styls (Bd. 5 = [2], Bd. 3)

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Deutschland. 
darf sie nicht aus blosser Beharrlichkeit oder Trägheit oder 
aus einem conservativen Sinne erklären, der Neuerungen 
mit misstrauischem Auge betrachtete k); denn es fehlte an 
Neuerungen nicht, nur dass sie mehr das Gepräge des 
romanischen als des gothischen Styles hatten. Man be- 
hielt jenen bei, nicht weil er her-gebracht War, sondern 
weil er dem Geiste des deutschen Volkes mehr zusagte. 
Wäre der gothische Styl wirklich, wie man ihn genannt 
hat, der deutsche oder germanische, so hätte dies in 
a) Man hat (namentlich mit den bestimmtesten Worten, Otte 
im Kunstblatt 1847, Nro. 29) die Anhänglichkeit der Deutschen an 
romanische Formen dadurch erklären wollen, dass die Baukunst bei 
uns damals noch ganz in den Händen der "meist conservativen" Geist- 
lichkeit beruhet habe. Diese Vorstellung ist in der That nur eine 
andere Version derjenigen, welche in dem gothischen Style eine Oppo- 
sition der Laien gegen die Geistlichkeit sieht, und nach meiner An- 
sicht ebensowenig wie diese begründet. Die conservative Richtung der 
Geistlichkeit des dreizehnten Jahrhunderts (wenn sie überhaupt vor- 
handen wer) erstreckte sich jedenfalls nicht auf bürgerliche Zustände 
und am Wenigsten auf die Formen der Kunst, namentlich auf die in 
den Augen praktischer Menschen bedeutungslosen Formen der Archi- 
tektur. Selbst im Zeitalter der Reformation waren die katholischen 
Geistlichen die Verbreitet der neuitalienischen Kunst, während die pro- 
testantischen Gegenden sich in Beziehung auf den Baustyl sehr „con- 
servativ" verhielten. Auch im dreizehnten Jahrhundert waren der hei- 
lige Ludwig und seine eifrige Geistlichkeit die entschiedenen Beförde- 
rer des reichen gothischen Styls. Wie scllte der deutsche Klerus allein 
auf den Gedanken gekommen sein, in bequemeren und solideren oder 
selbst reicheren Formen eine Gefahr für die Kirche zu sehen? Viel- 
mehr ging die Richtung der Geistlichkeit damals überall auf grössere 
Pracht. Sie wollte das Auge der Laien befriedigen und fesseln, durch 
die Architektur die Macht und Herrlichkeit der Kirche anschaulich 
machen; sie brauchte für die grössere Zahl der Chorherren und dienen- 
den Priester, für die vermehrten Altäre grössere Kirchen und nament- 
lich grössere Chorräume, wie sie der gothische Styl gewährte. Der 
Klerus richtete sich in diesen Bestrebungen aber natürlich theils nach 
seinen Mitteln, theils nach dem Geschmacke des Volks, und nur in 
diesem ist daher die Ursache des verschiedenen Entwickelungsganges 
bei den einzelnen abendländischen Nationen zu suchen.
	        
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