Deutschland.
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Die Ursachen dieser Erscheinung liegen theils in den
politischen Verhältnissen, theils in der Geschmacksrichtung
der Deutschen.
Auch Deutschland nahm an dem Aufschwunge An-
theil, den wir im ganzen Abendlande um die Mitte des
zwölften Jahrhunderts bemerken. Die Wachsende Bevöl-
kerung, der grössere Reichthum der Städte, die weitere
Verbreitung mannigfacher Bildungselemente führten auch
hier zu mildern Sitten, zu regerem geistigen Leben. Nach
den Stürmen, welche das schwankende und gewaltsame
Benehmen der Kaiser des salischen Hauses hervorgerufen
hatte, bestieg ein kräftigeres und würdigeres Geschlecht
den Thron, welches das Gefühl der Ruhe und des Be-
hagens verbreitete und selbst Männer erzeugte, für welche
die Nation sich wieder begeistern konnte. Allein dennoch
nahm Deutschland gerade jetzt in politischer Beziehung
eine ganz andere Richtung als die westlichen Nationen.
Während in England Normannen und Sachsen den alten
Hader vergassen und zu einem Volke verschmolzen, wäh-
rend Frankreich im Bedüifniss nationaler Einheit sich um
das königliche Banner schaarte, zerfiel Deutschland mehr
und mehr. Durch den Kampf der Krone mit der Kirche,
durch die Schwäche und Inconsequenz der salischen Kaiser
war die Macht der 'l'erritorialherren schon so erstarkt,
dass es der ganzen Kraft der Hohenstaufen bedurft hätte,
um die Bande der Einheit wieder fester zu ziehen. Aber
ihre Blicke Waren auf Italien gerichtet, ihre auswärtigen
Kriege machten sie gegen die deutschen Vasallen nach-
giebig, und so kam es, dass gerade unter der Herrschaft
dieser ausgezeichneten Fürsten die Zersplitterung Deutsch-
lands für immer begründet wurde.
Diese politischen Verhältnisse hatten einen unmittel-
baren Einfluss auf das ganze geistige Leben. Während