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Der
frühenglische
Styl.
ernstlich suchten sie das Bedürfniss einer organischen Be-
gründung der Gewölbstützen mit jenen Ansprüchen an die
Säulenform auszugleichen. Hier War man sogleich fertig,
indem man sich mit niedrigen, schmucklosen Ringkapitälen
begnügte, ihnen überall gleiche lHöhe anwies und die Ge-
Wölbdienste auf Kragsteine stellte. Und ebenso verfuhr
man mit der Dm-chbildung des Grundplans, der strebenden
Glieder und mit allen anderen Theilen.
Aus dieser Auffassung erklärt sich nicht bloss die rasche
Verbreitung dieses Styls, sondern auch die bleibende Anhäng-
lichkeit der Nation an ihn. Für die tiefere, geheimnissvolle
Schönheit der Architektur sind immer nur Wenige empfäng-
lich; die Menge wird nur oberflächlich davon berührt. Wo
diese Kunst sich also in diesem ihrem höchsten Sinne ausbildet,
bleibt sie mehr oder weniger in den Händen der Künstler
und der näheren Kunstfreunde, und wird auch von der
Nation verlassen, wenn jene sich anderen Formen zuwen-
den. Hier hatte sie diese höhere Bedeutung nicht, sondern
war mehr eine symbolische Sprache, welche bald conven-
tionell verständlich wurde und von einer Generation auf die
andere überging. Die Nachkommen Wussten darin die Ge-
fühle iln-er Vorfahren zu lesen, die Dichter vermochten sie
in Worte zu bringen. Daher blieb sie Gemeingut, und
wir finden in allen folgenden Jahrhunderten, wie bei keiner
anderen Nation, fortdauernde poetische Beziehungen auf die
mittelalterliche Architektur. Die dunklen Hallen, die schwe-
ren Formen der normannischen Bauten erinnern den Dichter
an die eiserne Herrschaft der stolzen normannischen Ba-
rone über die besiegten Sachsen, die milderen Züge des
gothischen Styls an die glückliche Verschmelzung der
feindlichen Stämme zu einer einigen Nation, an die schlichte
und edle Sitte des frühen Bitterthums, an die religiöse
Begeisterung und die Romantik der Kreuzzüge. Die