Allgemeine
Charakteristik.
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Architektur eine symbolische Bedeutung hinein. Daran
War überdies die Nation gewöhnt; die derben Formen des
normannischen Styls waren wirklich der Ausdruck der
Wehrhaftigkeit und Kraftfülle der Beherrscher dem besieg-
ten Volke gegenüber. Jetzt hatten sich die Zeiten geän-
dert; die Stämme waren verschmolzen, die neugebildete
Nation ordnete ihre Verhältnisse in klarer und segensrei-
cher Weise. Statt jenes Trotzes liebte man jetzt ritterliche
Eigenschaften, tapferen Muth, unbeugsamen Willen, aber
gepaart mit Gesetzlichkeit und Mässigung mid mit der
Empfänglichkeit für zarte Gefühle. Dieser Sinnesweise
konnten die alten rohen Formen nicht mehr genügen. Als
daher der neue Styl über den Kanal kam und entgegen-
gesetzte Züge darbot, nahm man keinen Anstand, ihn mit
rascher Aufopferung des alten Geschmacks sich anzueignen,
begann aber auch sofort, ihn in jener symbolisch-decora-
tiven Weise zu behandeln, beschränkte daher den con-
structiven Ausdruck und betonte die dccorativen Elemente,
bis man die Formen gefunden hatte, welche die gewünschte
ldeenverbindung gaben.
Dies erklärt die rasche und gleichmässige Ausbildung
des englischen Styls. Er entwickelte sich nicht aus den
älteren Formen, sondern wurde mit Verwerfung derselben
aufgenommen. Er hatte nicht mit der Feststellung der
constructiven Erfordernisse und der Entwickelung des Or-
naments aus denselben zu kämpfen; der Anforderung, in
jedem Gliede seine Function auszusprechen und doch das
Ganze in Harmonie zu halten, war man überhoben. Wie
viele Versuche machten die Meister von Chartres, Rheims,
Amiens und ihre Zeitgenossen, um die richtigen Verhält-
nisse der Schäfte und Kapitäle an Kernpfeilern und an-
liegenden Säulen zu finden, wie schwer wurde es ihnen,
die schöne Form des korinthischen Kelchs aufzugeben, wie