Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Entstehung und Ausbildung des gothischen Styls (Bd. 5 = [2], Bd. 3)

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Der 
frühenglische 
Styl. 
allein als das Nothwendige, dieses als ein, wenn auch 
edler und wünschenswerther, aber für sich bestehender 
Luxus betrachtet wird f]. In der früheren Epoche äusserte 
sich diese Auffassung in naiver Weise, indem man Con- 
structives und Decoratives wirklich getrennt behandelte, die 
tragenden Glieder mit unverhüllter, selbst übertriebener 
Kraft ausstattete, den Schmuck ganz selbstständig an den 
leeren Wänden anbrachte. Zur Zeit des gothischen Styls 
hatte man bei reiferer Kenntniss der statischen Gesetze 
erfahren, dass es jener Derbheit nicht bedürfe; durch den 
Anblick dieses Styls auf den Vorzug schlanker Formen 
und edler Mässigung aufmerksam gemacht, verachtete man 
den Luxus überkräftiger Glieder und bizarrer Ornamenta- 
tion als etwas Barbarisches, vermied ihn daher sorgsam, 
und verfiel in das entgegengesetzte Extrem, steigerte den 
Ausdruck des Schlanken und Zierlichen bis zum Spröden 
und Mageren. Eine verständige Richtung dieser Art kann 
sich nicht leicht mit der reinen Form und ihrem unmittel- 
baren Ausdrucke begnügen, sie hat Nebengedanken und 
sucht unwillkürlich die Schönheit auf etwas Praktisches, 
das auch im Wirklichen Leben Geltung hat, zurückzuführen. 
Sie legt daher in die für sie bedeutungslosen Formen der 
3') Wie tief diese Anifassung im englischen Charakter liegt, be- 
weist auch der eben angeführte John Ruskin, der, obgleich er die 
Kunst des Auslandes wohl zu würdigen versteht und die seines Vater- 
landes mit den stärksten Waffen angreift und ihr eine totale Reform 
zumuthet, dennoch keine Ahnung von dem Znsammenhange von Con- 
struction und Ornamentation hat. Zu den sieben Leuchten, durch 
welche er die Architektur aufklären will, rechnet er unter Anderem 
auch die Schönheit, allein er versteht unter derselben ausschliesslich 
das Ornament und statuirt als solches nur die Nachahmung natür- 
licher Gegenstände an der Architektur, über deren Bedingungen und 
die ihnen anzuweisende Stelle er manches sehr Beaehtenswerthe bei- 
bringt, die bei ihm aber doch immer ein fremder, willkürlich hinzuge- 
iiigter Schmuck bleibt.
	        
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