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Der
frühenglische
Styl.
allein als das Nothwendige, dieses als ein, wenn auch
edler und wünschenswerther, aber für sich bestehender
Luxus betrachtet wird f]. In der früheren Epoche äusserte
sich diese Auffassung in naiver Weise, indem man Con-
structives und Decoratives wirklich getrennt behandelte, die
tragenden Glieder mit unverhüllter, selbst übertriebener
Kraft ausstattete, den Schmuck ganz selbstständig an den
leeren Wänden anbrachte. Zur Zeit des gothischen Styls
hatte man bei reiferer Kenntniss der statischen Gesetze
erfahren, dass es jener Derbheit nicht bedürfe; durch den
Anblick dieses Styls auf den Vorzug schlanker Formen
und edler Mässigung aufmerksam gemacht, verachtete man
den Luxus überkräftiger Glieder und bizarrer Ornamenta-
tion als etwas Barbarisches, vermied ihn daher sorgsam,
und verfiel in das entgegengesetzte Extrem, steigerte den
Ausdruck des Schlanken und Zierlichen bis zum Spröden
und Mageren. Eine verständige Richtung dieser Art kann
sich nicht leicht mit der reinen Form und ihrem unmittel-
baren Ausdrucke begnügen, sie hat Nebengedanken und
sucht unwillkürlich die Schönheit auf etwas Praktisches,
das auch im Wirklichen Leben Geltung hat, zurückzuführen.
Sie legt daher in die für sie bedeutungslosen Formen der
3') Wie tief diese Anifassung im englischen Charakter liegt, be-
weist auch der eben angeführte John Ruskin, der, obgleich er die
Kunst des Auslandes wohl zu würdigen versteht und die seines Vater-
landes mit den stärksten Waffen angreift und ihr eine totale Reform
zumuthet, dennoch keine Ahnung von dem Znsammenhange von Con-
struction und Ornamentation hat. Zu den sieben Leuchten, durch
welche er die Architektur aufklären will, rechnet er unter Anderem
auch die Schönheit, allein er versteht unter derselben ausschliesslich
das Ornament und statuirt als solches nur die Nachahmung natür-
licher Gegenstände an der Architektur, über deren Bedingungen und
die ihnen anzuweisende Stelle er manches sehr Beaehtenswerthe bei-
bringt, die bei ihm aber doch immer ein fremder, willkürlich hinzuge-
iiigter Schmuck bleibt.