Das
Sterngewölbe.
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pen überwölbte polygone oder kreisförmige Räume wieder-
holt vorgekommen, namentlich an dem Zehneck von St.
Gereon in Köln mit grösserer Spannung und auf bedeu-
tend grösserer Höhe als in jenen Kapitelhäusern. In Frank-
reich hatte man bei der Ueberwölbung der halben Polygone
des Chorschlusses und der Kapellen des Kranzes vielfache
Veranlassung gehabt, die Schwierigkeit solcher Aufgabe
zu prüfen. Dennoch hatte man am Schlusse dieser Epoche
in beiden Ländern eine Vermehrung der Rippen noch nicht
versucht. Vilars von Honnecourt giebt zwar in seinem
Skizzenbuche das Project eines Sterngewölbes, aber seine
beigeschriebenen Bemerkungen zeigen, dass die Sache neu
war und dass er den Einwurf der Unausfiihrbarkeit fürch-
tete. In Deutschland, wo man später von diesen künstli-
cheren Gewölben nächst den Engländern am meisten Ge-
brauch machte, kennen wir doch kein früheres Beispiel als
das der Briefkapelle bei der Marienkirche zu Lübeck vom
Jahr 1310. Man mag es dahingestellt sein lassen, ob
diese Erfindung eine sehr günstige war. Wenn sie auch
technische Vortheile und in gewissen Fällen wirklich schöne
Motive gewährte, so entwerthete sie doch die Gewölbrippe,
machte sie aus einem constructiv wichtigen Gliede zu einem
blossen Mittel der Decoration und trug später zum Verfall
der gothischen Architektur bei. Aber wie dem auch sei,
es leidet keinen Zweifel, dass es die Engländer waren,
welche in dieser Erfindung oder doch in ihrer Anwendung
den übrigen Nationen vorausgingen
Auch diese Erfindlmg war ein Resultat ihrer ganzen
Richtung. Sie waren die ersten, welche den decorativen
Charakter des gothischen Styls herausfühlten, welche sei-
nen constructiven Gliedern den ernsten Ausdruck ihrer
i] F. v. Quast,' in den N. Preuss. Provinzialb]. XI, S. 120, hat
zuerst auf diese Priorität der englischen Architektur aufmerksam gemacht.