Die
Kathedralen
V01]
Lincoln
Worcester.
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sogar zwei solche Fenstergruppen übereinander, wodurch
es denn sehr leicht und luftig erscheint. Beide Bauten sind
mit schmalen Kreuzgewölben bedeckt, deren Rippen aber
von dem überaus schwachen Dienste, der von den Kapi-
tälen der vorderen Säulen aufsteigt, nur scheinbar getragen
werden. Die Strebepfeiler sind äusserst schwach und
Strebebögen nicht angebracht. Wir sehen also die deco-
rativen Formen des gothischen Styls schon ziemlich ent-
wickelt, das constructive System dagegen, aus Unempfäng-
lichkeit für die Bedeutung desselben oder im Vertrauen auf
die Vortrefilichkeit des Materials, vernachlässigt.
Diese Bauten enthalten in der That schon die wesent-
lichen Züge des neuen englischen Styls. Er hat sich in
unglaublich kurzer Zeit entwickelt. Nachdem noch die
obenerwähnten Gebäude aus den letzten Jahren des zwölf-
ten Jahrhunderts im VVesentlichen normannische, nur in
einem anderen Sinne behandelte Formen erhalten hatten,
hat man sie jetzt aufgegeben und mit anderen vertauscht.
Der nationale Geschmack hatte sich sehr rasch orientirt,
aus dem von Frankreich her ihm zugeführten und sonst
bekannt gewordenen gothischen Systeme einige Elemente
sich angeeignet, andere zurückgewiesen, und daraus den
ihm zusagenden Styl gebildet, der nun auch sofort mit der
dem brittischen Stamme eigenen Entschlossenheit als etwas
Festgestelltes angenommen und bleibend angewendet vmrde.
Fast gleichzeitig mit den Bauten von Worcester und
Lincoln erstand das bedeutendste Gebäude dieses Styls,
die Kathedrale von Salisbury. Sie wurde durch den
Bischof Richard Poore im J. 1220, gleichzeitig also mit
der Kathedrale von Amiens, auf neugewähltem Platze be-
gonnen und so eifrig gefördert, dass schon nach fünf Jahren
darin Gottesdienst gehalten werden konnte. Etwa dreissig
Jahre später, um 1'258, war der östliche Theil des Ge-