Spätnormannische
Bauten.
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In Frankreich und selbst in Deutschland entstanden die
ersten Abweichungen von den romanischen Formen durch
das Streben nach vollständiger und sicherer Ueberwölbung
und nach geräumigen, höheren und schlankeren Verhält-
nissen der Kirchen. In England finden wir keine Spur
dieser Bedürfnisse. Die Wölbung, namentlich das Kreuz-
gewölbe, wurde allerdings angewendet, aber nur bei klei-
neren und niedrigeren Räumen, in Seitenschiffen, Chören,
Krypten, oder in befestigten Gängen der Schlösser. Für
das Oberschiff' der Kirche behielt man dagegen noch immer
die Holzdecke bei; wir wissen kein einziges sicheres Bei-
spiel der Ueberwölbung vor der Einführung des gothischen
Styls ja wir finden die Holzdecke hier auch noch
später häufiger, als auf dem Continente; es scheint, dass
die seemännische Gewohnheit hier wie in Holland eine
Neigung für den Gebrauch des Holzes gab.
Allerdings bemerken wir indessen bald nach dem Schlusse
der vorigen Epoche einige Neuerungen. Man fühlte das
des "frühenglischen" (early english] zu bezeichnen fortfährt, ist durch
die nationale Eigcnthümlichkeit des Styls und dadurch gerechtfertigt,
dass das Entstehen dieses Styls in der That mit der Verschmelzung des
sächsischen und normannischen Stammes, und daher mit dem Entstehen
der englischen Nation gleichzeitig ist. Um den Schein einer An-
maassung zu vermeiden und die anderen Nationen der eigenen gleichzu-
stellen, haben einige englische Schriftsteller angefangen, den frühgothi-
sehen Styl überall nach den Nationen, also als "frühdeutschen, frühfran-
zösischen" (early german, early english) zu bezeichnen, was indessen
keine Nachahmung verdient, da der gothische Styl im Allgemeinen
mehr einen kosmopolitischen, als einen nationalen Charakter hat, und
das nationale Element dieser schon früher bestehenden Völker sich
schon im romanischen Style mit mindestens gleicher Stärke ausgespro-
chen hatte.
r) Der Stelle des Giraldus Cambrensis, nach welcher die Ueber-
Wölbung der Kathedrale von Lincoln um 1143 erfolgt sein soll, und
der Wahrscheinlichkeit, dass sie bloss auf die Seitenschiffe zu beziehen
sei, habe ich schon Bd. IV, Abth. 2, S. 393 gedacht.