Historische
Einleitung.
der Schule, sondern wirkte auch vielfach auf das Leben
ein, das religiöse Gefühl wurde inniger, hingebender und
zugleich klarer. Eine Fülle von scheinbar einander Wider-
sprechenden Kräften regte sich gleichzeitig, und das Ganze
bildete dennoch, statt von ihnen gesprengt zu werden,
einen wohlgeordneten Organismus mit allseitiger Wechsel-
wirklmg seiner einzelnen Theile.
Fragen wir nach den Ursachen imd der Richtung die-
ser Bewegung, so ist zunächst zu bemerken, dass sie
ganz auf dem Grunde fusste, der in der vorigen Epoche
gelegt war, auf dem Begriffe eines christlichen Weltregi-
ments, einer sichtbaren, mit dem Staate in Wechselwir-
kung stehenden Kirche. Dieser Begriff war in der vorigen
Epoche einseitig, aber auch so kräftig ausgeprägt, dass er
für eine Reihe von Jahrhunderten als unerschütterliche Vor-
aussetzung feststand. Aus ihm ging' nun, wie aus einem
harten aber kräftigen und gesunden Stamme der reiche
Schmuck von Aesten und Zweigen mit ihren Blättern und
lieblichen Blüthen, die weitere Entwickelung hervor, und
rasch, wie vom Hauche des Frühlings angeweht, stand
der ganze Baum in der vollen Pracht seiner Erscheinung
da. WVenn man betrachtet, in wie verhältnissmässig kur-
zer Zeit diese Umgestaltung des öffentlichen und des indi-
viduellen Lebens auf allen Gebieten vollbracht wurde, muss
man über die Fülle von Begeisterung, Kraft und Ausdauer
erstaunen, welche dieser Zeit verliehen war.
Es war nicht etwa das fortreissende Beispiel einzelner
grosser Männer, auch nicht gerade der Einfluss erschüt-
ternder Ereignisse, was dieSeS WVunder bewirkte, es war
das Reifen der inneren Kraft, das plötzlich auf allen Ge-
bieten neue Erscheinungen hervortrieb.
Allerdings hatten die Kreuzzüge und ihre Folgen, die
nähere Bekanntschaft der abendländischen Völker mit der