Anwendung
des
gothischen
Styls.
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vom ersten Eindringen des gothischeil Styls bis an die
Zeit der Renaissance mischen sich noch romanische Form-
gedanken ein. Und noch mehr gilt dies von den südlicheren
Gebäuden dieser Region. Selbst wo die Details völlig
gothisch sind, macht das Ganze, schon durch die breitere
Anlage des Schiffes und durch das flache Dach, einen von
den nordischen Gebäuden abweichenden Eindruck. WVir
vermissen die Abstufung der verschiedenen Theile, den
Wechsel des Festen und Lichten, und finden statt dessen
einfache, hohe Mauern mit wenigen und kleinen Fenstern,
welche, zumal da sie oft statt der Fialen Lmd Balustraden
mit Zinnen bekrönt sind, ein fast festungsartiges Ansehen
haben. Ueberhaupt gelang die Ausführung des gothischen
Styls hier besser in kriegerischen Befestigungsbauteil, als
an Kirchen, Was bei den Modilicationen und Beschrän-
kungen der freien Entwickelung des Styls, die dieser Zweck
mit sich bringt, wohl erklärbar ist f).
Etwas früher und reiner tritt der gothische Styl im
Languedoc auf, wo die nordischen Sieger ihn ebenso
einführten, wie sie den Städten die Statutargesetzgebung
von Paris, die s. g. Coutumes aufnöthigten. Schon die
Abteikirche St. Paul in Narbonne, zu welcher 1229 der
Gnmdstein gelegt wurde, ist gothischer Anordnung; aber
ungeachtet ihrer ziemlich schlanken Pfeiler und ihrer regel-
mässigen Kreuzgewölbe macht sie n1it ihren sparsamen und
in weiten Abständen angebrachten Fenstern und ihren
schweren, mit Figuren geschmückten Kapitälen noch den
Eindruck eines romanischen Gebäudes. Erst nach der
Mitte des Jahrhunderts entstand in diesen Gegenden eine
Gruppe von Kirchen, an denen die höchste Eleganz des
f) Das Schloss von Beaucaire, die Mauern von Aigues Mortes,
die Thürme von Villeneuve und Montmajour werden gerühmt. Merimee
a. a. O.