Spätere
Einführung
des
gothischen
Styls.
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Diese Lage der Dinge änderte sich erst nach den
Albigenserkriegen. Als das verwüstete Land eine von
Paris aus beherrschte Provinz geworden War, als nord-
französische Herren von seinen Schlössern, Günstlinge des
Königs von seinen Bisthümem und Abteien Besitz nahmen,
als auch die einheimischen Grossen in immer nähere Bezie-
hungen zu der nördlichen Hauptstadt traten, wurde der
nunmehr schon gereifte und zum fertigen Systeme ausge-
bildete gothisehe Styl auch hier eingeführt. Seine Vorzüge
waren zu auffallend, er entsprach der allgemeinen Richtung
der Zeit zu sehr, als dass man sich ihm hätte entziehen
können. Aber niemals kam man dazu, ihn in seiner ganzen
Kraft und Schönheit anzuwenden; die Hand versagte gleich-
sam den Dienst, ihr wurde zugemuthet, Was ihr nicht
natürlich war. Dem bequemen Sinne des Südlämilers
widerstrebten die künstlichen Verbindungen, die feine und
mühsame Berechnung, die unerschöpfliche Mannigfaltigkeit
kleiner Theile, die nur für den, der ihre Bedeutung fühlt,
ein Ganzes bildet. Die Richtung auf das Einfache, Breite,
Horizontale war zu allgemein, zu sehr mit allen Gefühlen
und Gewohnheiten verwachsen, als dass man die auf-
strebenden Verhältnisse, den feinen Wechsel verticaler
Glieder und Höhlungen sich wirklich aneignen konnte.
Man baute in gothischem tStyle, aber nicht mit Lust, nicht
mit voller Ueberzeugung.
Auch blieb die Zahl der gotliischeil Kirchen in den
östlichen Theilen dieser Region klein lllld die meisten (ler-
selben gehören der späteren Zeit nach der Beendigung der
Albigenserkriege an. Bis dahin lässt sich keine Verände-
rung des Styls bemerken. Noch St. Andre in Grenoble,
obgleich erst 1226 gegründet, ist fast ganz romanisch, mit
schwach zugespitzten Arcaden und dem Rundbogenfriese,
und auch wo man gothisch baute, geschah es nur mit
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