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Die
Kathedralen
VOIl
Chartres,
von Chartres beträgt schon 108, die in Rheims 115 bis
120, in Amiens 132, in Beauvais 146 Fuss. Dies war
dann freilich auch das Aeusserste; nach dem das Gewölbe
hier, wie erwähnt, eingestürzt war, „proptei' artificii inso-
lentiam", wie ein Chronist bei dem Einsturz des viel niedri-
geren Gewölbes am Dome zu Lincoln sagt, hat man in
Frankreich keinen Versuch gemacht, noch höher hinauf
zu steigen.
Die Wirkung der Höhe hängt aber nicht bloss von
ihrem Maasse, sondern auch von ihrem Verhältnisse zur
Breite des lllittelschifis ab; wollte man also den Eindruck
des Schlanken geben, so durfte die Breite nicht in gleichem
Maasse wachsen. Dennoch strebte man auch hier anfangs
allzusehr ins Grosse. In St. Etienne in Caen ist das
Mittelschilf nur 32' 6", in Ste. 'l'rinite gar nur 23' breit,
wie erwähnt bei einer Höhe jene von 60, diese von 50
Fuss; die Höhe enthielt daher ungefähr die doppelte Breite.
Die Kathedrale von Laon hatte bei einer Breite von 36
die Höhe von 83 Fuss, also ein Verhältniss von 21f3. In
Chartres überbot man zwar diese Höhe, steigerte aber
dennoch, da auch die Breite und zwar bis auf 45 Fuss
anwuchs, das Verhältniss nicht bedeutend. In N. D. von
Paris hatte dagegen die Höhe (106) schon fast das drei-
sie durch möglichst niedrige Anlagen der einzelnen Theile zu vermin-
dern. Allein er selbst muss zugestehen, dass man am Ende des drei-
zehnten und im vierzehnten Jahrhundert diese Erhöhung absichtlich
gesteigert habe, und schon dies würde darauf schliessen lassen, dass
die Erlangung imposanter Höhenverhältnisse in der ursprünglichen Ten-
denz der Schule lag, wenn man auch eine allzugrosse und gefährliche
Höhe noch vermeiden zu müssen glaubte. Die im Texte enthaltenen
Maassangaben zeigen aber auch, dass jenes bewusste und absichtliche
Streben nach grösserer Höhe nicht erst am Ende des 13. JGIITlL, son-
dern schon von 1212 an eintrat. Allerdings hat Violet-le-Duc indessen
ganz Recht, wenn er denen Widerspricht, welche in diesem Streben
nach kühnen und luftigen Verhältnissen eine bestimmte religiös sym-
bolische Idee zu erkennen glauben.