112
Die
Kathedralen
VOIl
Chartres,-
her erwähnten Kirchen nicht durch ausserordentliche und
überraschende Neuerungen, vielmehr findet sich an ihnen
kaum irgend eine Form, die nicht schon in einer oder der
anderen derselben vorgekommen wäre. Aber der bisher nur
geahnete Grundgedanke ist nun mit vollem Bewusstsein
harmonisch und consequent durchgeführt. Man sieht, dass
diese Meister die Arbeiten ihrer Vorgänger vor Augen
hatten, dass sie daraus das Richtige, dem neuen Geiste
und Systeme Zusagende auswählten, das Spröde und Harte
milderten, das Ganze möglichst zu vollenden suchten. Die
allzuweiten, quadraten Gewölbfelder des Mittelschiffes, die
breiten Gallerien haben sie bleibend aufgegeben, schmale,
mit jeder Arcade abschliessende Gewölbe und leichte Tri-
forien sind an ihre Stelle getreten. Durch diese, schon in
der Kathedrale von Soissons ausgeführte Neuerung wurde
die völlige Durchführung des Strebesystems, die Herstel-
lung gleicher und schlanker Pfeiler und Traveen, die Ver-
minderung der Zwischenwände und die Ausdehnung der
Fenster bis an den Schildbogen der Gewölbe, und endlich
der Sinn für organische Vollendung des Ganzen angeregt.
Die Meister unserer Kathedralen gingen in allen diesen
Beziehungen auf dem gemeinsamen Wege Weiter, ohne
sich allzlnasch von den Traditionen ihrer Vorgänger zu
entfernen. Die einfache Rundsäule, die man in Laon und
N. D. von Paris angenommen hatte, genügte ihnen nicht
mehr, aber der Grundgedanke derselben wurde festgehalten,
und hieraus eines der Wichtigsten Glieder dieses früheren
französischen Styls, der kantonirte, d. h. mit vier ange-
legten, den Schiffen und den Scheidbögen entsprechenden
Halbsäulen besetzte Rundpfeiler gebildet. In Beziehung auf
die statischen Mittel strebten sie danach, dem Wesentlichen
und Constructiven den feineren Ausdruck zu geben, in
welchem sich seine tiefere Bedeutung entwickelt. Daher