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Der
frühgothische
französische
Styl.
ist die Ornamentatiorl fast durchweg aus dem Pflanzen-
reiche genommen, das Blattwerk freier und natürlicher, oft
von überaus zierlicher Arbeit, und mit deutlicher Nachah-
mung einheimischer Pflanzen.
Es konnte nicht fehlen, dass die Zeitgenossen diese
Fortschritte bemerkten. Der Mönch Gervasius von Can-
terbury in seinem
über den Neubau
um diese Zeit geschriebenen Berichte
seines Domes rühmt ausdrücklich die
"sculptura subtilis", die man jetzt an den Kapilälen sehe.
Einen so ausführlichen Bericht besitzen wir nun zwar aus
Frankreich nicht, aber es fehlt doch nicht ganz an enthu-
siastischen Aeusserungen; ein Chronist ruft im Jahre 1177
bei der Flrwälmung des damals im Bau begriffenen Chores
der Pariser Kathedrale aus: VVenn das YVerk vollendet sei,
werde man diesseits der Berge nichts Gleiches sehen kön-
nen Pk). Er hat also eine sagenhafte Vorstellung davon,
dass Italien das Land der Schönheit sei, die wohl mehr
auf der traditionellen Verehrung antiker Kunst und auf der
Kunde von der imponirendeli Grösse der ebenfalls fünf-
schiffigen römischen Basiliken als auf genauerer Kenntniss
von dem Zustande der damaligen italienischen Leistungen
beruhet; aber er würdigt den neuen Bau richtig in seinen
Vorzügen vor den vorhandenen einheimischen YVerken.
Ein anderer Chronist giebt, indem er den Verfall der klö-
sterlichen Disciplin rügt, ein Zeugniss, dass die neuen
Bauten stolzer und namentlich luftiger und heller seien, als
die alten im).
11) Robertus de Monte, der Fortsetzer der Chronik des Sigebertus
(bei Inkersleg; S. 72): An. Dni. 1177. Mauricius eps. Parisiensis jam
diu est quod multum laborat et perficit in aedificatiune ecclesiaß prae-
dicte civitatis; cujus Caput jam perfectum est, excepto majori tec-
mrio; quod Opus si perfectum fuerit, non erit opus citra montes cui
apte debet comparari. (Joh. PistoriifScr. rer. germ. Tom. I.)
w") Der Verfasser der Annalßs Novesienses vom Ende des zsvölf-