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Erste
Epoche.
vollständige ikusführung des Ornamentistischen und endlich
die oft missverstandene Nachahmung antiker Glieder. Al-
lein man darf diese Mängel doch nicht mit allzustrengeil
Augen betrachten; gerade sie verhinderten, dass das fremde
System erdrückend wurde, gaben die Möglichkeit, aus ihm
etwas Neues zu erzeugen; sie entstanden zum Theil da-
durch, dass das schlichte, unbestochene Gefühl sich bei
diesem Systeme nicht beruhigen konnte. Die römische Ar-
chitektur entspricht ganz dem Gedanken des Imperatoren-
reiches, sie fordert Gleichheit und Einheit der 'l'heile, sie
inrponirt durch die gleichförmige Durchführung derselben
Form an gewaltigen, IIIHSSBHIIHHGI] Konstruktionen, sie er-
innert an die Haltung der Legionen, die (lurch die Macht
der Disciplin zu einem Ganzen verschmolzen sind, in denen
der Einzelne an sich nichts, nur als Werkzeug des Befehls
ein nützliches Glied des Ganzen ist. Diese Idee und ihr
architektonischer Ausdruck hatten auch jetzt ihre Bedeutung
nicht verloren, der zügellosen Freiheit musste das abstrakte
Gesetz, der Verwilderung das Bild geregelter Einheit vor-
gehalten Werden. Aber ganz unbedingt konnte man sich
(iieser römischen Norm nicht untelwerfen, (las Christenthum
und der germanische Geist verlangten freie Geltung des
Individuellen, eigene Ueberzeuguilg, den Ausdruck persön-
lichen Gefühls, und dies Gesetz der Freiheit war so tief
in den Gemüthern begründet, dass es auch die unwillkür-
lichen Handgriffe des schlichten Arbeiters leitete; Manche
Abweichungen von der antiken VVeise, manche scheinbaren
[lnregelmässigkeiten sind daher nicht Fehler, sondern schon,
wenn auch noch sehr unvollkommene Aeusserilngen dieses
Fundamente höchst schwach und in unhaltbarer Weise angelegt, dass
in den Mauern oft Holzstücke zur Verbindung angebracht waren, welche
durch ihr Verfaulen nothwendig Lücken hervorbringen und die Dauer-
haftigkeit gefährden mussten, u. dgl. Die Ungenauigkeit der Maasse
kann fast an allen Gebäuden dieser Epoche wahrgenommen werden.