Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Das eigentliche Mittelalter (Bd. 4 = [2], Bd. 2, Abth. 2)

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Erste 
Epoche. 
Grunde gelegten schriftlichen Aeusserung den Schlüssel 
giebt, völlig unverständlich, oft durch die auch hier ein- 
wirkende Subjektivität des Bildners so entstellt ist, dass 
wir sie auch dann nur unvollständig verstehen, die aber 
freilich auch diesen Worten einen geheimnissvollen Reiz 
verleihet, ein Zeugniss des frommen, gotterfüllten Geistes 
der Zeit, und wenn wir den Gedanken ganz entdecken, 
die Freude des Einblickes in ein kindliches Gemüth ge- 
währt. 
Alle diese Mängel und Eigcnthümiichkeiten der dama- 
ligen Kunst wmden aber von den Zeitgenossen nicht wahr- 
genommen; keine Aeusserung der Schriftsteller deutet darauf 
hin. Die grosse Menge kannte natürlich nichts Anderes 
und konnte nicht vergleichen, und den Gelehrten war auch 
der Begriff der Kunst traditionel geworden, sie wendeten 
die Phrasen, welche sie bei den antiken Autoren fanden, 
auf die Werke ihrer Zeit an. Daher das ausschweifende 
Lob, welches wir manchmal höchst schwachen Erzeug- 
nissen gezollt finden; daher gelegentliche Aeusserungen, 
die, Wenn sie nicht alten Schriftstellern entlehnt wären, ein 
tieferes Verständniss Wahrer Kunst voraussetzen würden, 
als in der That damals möglich War  Man glaubte daher 
i") So erklärt Johannes Scotus Erigena im neunten Jahrhundert 
(De divina providentia, lib. ö, fo]. 275, bei Neander K. G. IV. 399) 
die Zulassung des Bösen in der Welt durch Vergleichung derselben 
mit einem Gemälde. Wie nämlich in einem solchen die einzelnen Ge- 
genstände für sich keine Bedeutung hätten und als solche hässlich sein 
könnten, ohne der Schönheit des Ganzen Eintrag zu thun, so ver- 
schwinde auch die Bedeutung des Bösen für den, der das All betrachte. 
(Omnia, quae in partibus universitatis male, inhonesta, turpia ab his, 
qui simul omnia considerare non possunt, judieantur, in contempla- 
tione universitatis veluti totius cujusdam picturae pulchri- 
tudinis neque turpia neque inhonesta neque xnala sunt.) So spricht 
Anselm von Canterbury von einem Maler, der aus der Ideenwelt 
schöpfte: Aliud enirn est, rem esse in intellectu et aliud intelligere 
rem esse. Nam cum pictor praecogitat imaginem quam facturus
	        
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