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Schlussbetrachtung.
unbekannten Rundpfeilern, mit den gedrängten Arcaden sei-
ner Thü1'me , mit den Teppichmustern seiner Wandfelder,
und endlich Italien, wo in geringen Entfernungen die by-
zantinisirende Marcuskirche von Venedig, die toscanischen
Bauten mit der Reinheit und Eleganz ihrer Formen und
mit dem vielfarbigen Marmorschmucke und die Kirchen der
Lombardei, die nach Mainz und nach Caen hinweisen.
neben einander bestehen.
Diese Mannigfaltigkeit hat es verschuldet, dass man
lange die Baukunst dieser Epoche verkannte und in ihr
nur eine wilde und willkürliche Regellosigkeit erblickte.
Allerdings hat sie nicht die Gleichförrxiigkeit und die Festig-
keit allgemeiner Principien wie in der griechischen Kunst
oder unter der Herrschaft der gothischen Architektur. Aber
dennoch liegt jener Fülle der Formen eine höhere Einheit
und ein bestimmtes Gesetz zum Grunde.
Zunächst erkennen wir bald, dass jene Provinzialschu-
len mehrere innerlich verbundene Gruppen bilden. Im west-
lichen Theile des Gebietes, das wir im Auge haben, in
Frankreich und England, herrscht überall eine derbere,
mehr phantastische Auflassung, während die deutschen und
italienischen Bauten wenigstens in ihrer Mehrzahl schlich-
tere, einfachere, anmuthigere Züge tragen. Die Gebirge
westlich des Rheins bezeichnen in dieser Beziehung eine
Gränzlinie der verschiedenen Nationaleigenthümlichkeiten.
Aber wichtiger ist noch ein anderer Unterschied, welcher
auch eine andere, jene erste durchschneidende Begränzurlg
ergiebt. Die Lombardei und Deutschland haben in anderer
Beziehung mit der Normandie eine nähere Verwandtschaft;
der constructive Sinn, Welcher das Ganze im Auge hat
und sich nicht in Einzelheiten verliert, eine gewisse Ein-
fachheit, endlich die Ausbildung des Kreuzgewölbes sind
ihnen gemeinsam. Wir dürfen sagen, dass in ilmen das