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Italienische
Plastik
und
Malerei.
hierarchische Schule in der Geistlichkeit, der sich auch in
den Städten, aus politischen Rücksichten, geltend machte.
Aber es war doch ein zu äusserliches Mittel, es konnte
die innere Zerrissenheit und V erwilderung nicht aufheben,
es berührte nicht einmal die Stelle, wo der Sinn des Volkes
empfänglich war, Wo er die Sprache der Form verstanden
hätte. In allen Beziehungen War die Bevölkerung des neu-
eren Italiens auf die Entwickelung des individuellen Lebens
hingewiesen. Sie bildete noch keine Nation, sondern nur
ein Gemisch verschiedener Volksstämme, wo jeder Einzelne
noch seinen Ursprung fühlte, jeder seine Zwecke verfolgte,
Wo die Leichtigkeit des Lebens und die Gunst des milden
Himmels die körperlichen und geistigen Kräfte schnell reifte,
wo die Ueberreste antiker Civilisation, so schwach sie sein
mochten, zu verständiger, kalter Auffassung hinleiteten,
während der Reiz zum Genusse zu stark war, um eine
grosse Begeisterung für Uebersinnlichcs aufkommen zu
lassen. Im städtischen Leben, im Handel und Gewerbe,
in dem Ringen nach persönlicher Freiheit und Macht zeigte
sich die Kraft des Volkes, auf eine Regelung der welt-
lichen Verhältnisse war es gerichtet. S0 lange dies prak-
tische Bestreben noch so weit von seinem Ziele war, konnte
der Sinn für feinere Genüsse sich nicht regen. Eine Kunst,
Welche Lebensfülle, Kraft und Anmuth ausgedrückt, welche
das Gefühl von dieser Seite berührt hätte, würde dennoch
vielleicht schon jetzt Anklang gefunden haben, Wie sie sie
in der That etwa hundert Jahre später fand; für die
starre Würde, die hagere Zierlichkeit der byzantinischen
Formen konnte man sich nicht erwärmen, sie nicht einmal,
wenn sie durch technische oder kirchliche Riiksichten Ein-
gang fanden, recht verstehen. "Unwillkürlich traten daher
neben ihnen derbe oder naive Züge in störender und un-
harmonischer Verbindung hervor, oder es regte sich sogar