Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Das eigentliche Mittelalter (Bd. 4 = [2], Bd. 2, Abth. 2)

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Sculptur 
und 
Malerei. 
heiligen Gegenständen zusammenhingen, und ein instinkt- 
mässig gewähltes Ausdrucksmittel dieses Gefühls waren, 
wenn endlich bei grösseren Darstellungen der Ernst der 
heiligen Lehre, die Tiefe des Schmerzes und der gläubigen 
Ueberzeugung, gerade vermöge jener architektonischen 
Strenge, Wirksamer ausgedrückt werden, als es, wenig- 
stens in diesem Sinne, durch eine vollendetere Kunst ge- 
schehen kann. Allerdings werden wir diese Wahrneh- 
mungen in vollem Maasse nur bei den seltenen Werken 
geistreicher und besonders begabter Künstler machen kön- 
nen. Aber auch den gewöhnlicheren Arbeiten bleibt häufig 
noch der Vorzug einer erhöhten Thätigkeit der Phantasie. 
Während in Epochen vollendeter Kunst die künstlerische 
Kraft mehr für die Ausführung in Anspruch genommen 
wird, hat sie sich hier ganz der erlindenden Seite zuge- 
Wendet. Schon an der architektonischen Plastik tritt die 
Erfindung in anziehender Weise und mit überraschender 
Mannigfaltigkeit hervor, noch mehr zeigt sie sich in den 
Miniaturen, besonders vom Ende dieser Epoche, theils in 
den arabeskenartigen, bald humoristischen und harmlosen, 
bald bedeutungsvollen Beigaben, theils in der neuen und 
abweichenden Anordnung der bekannten, unzählige Male 
dargestellten Hergänge. Da ist ein Reichthum der Phan- 
tasie, eine unermüdliche Fülle und Frische, welche den 
Beschauer, der Geduld und Neigung hat, dem Gedanken- 
gange dieser einsamen Zeichner anhaltend zu folgen, über- 
raschen und belohnen. Sind auch diese Erfindungen bei 
Weitem nicht alle sehr geistreich, verdanken sie ihren 
leichten Fluss auch grossentheils dem Mangel an Kritik 
und Erfahrung, so zeigen sie doch eine jugendliche Lust 
und Freudigkeit und eine Ueberfülle der Kraft, welche uns 
darauf vorbereitet, dass wir einer Epoche vollendeterer 
Kunstüblmg entgegengehen.
	        
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