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Sculptur
und
Malerei.
heiligen Gegenständen zusammenhingen, und ein instinkt-
mässig gewähltes Ausdrucksmittel dieses Gefühls waren,
wenn endlich bei grösseren Darstellungen der Ernst der
heiligen Lehre, die Tiefe des Schmerzes und der gläubigen
Ueberzeugung, gerade vermöge jener architektonischen
Strenge, Wirksamer ausgedrückt werden, als es, wenig-
stens in diesem Sinne, durch eine vollendetere Kunst ge-
schehen kann. Allerdings werden wir diese Wahrneh-
mungen in vollem Maasse nur bei den seltenen Werken
geistreicher und besonders begabter Künstler machen kön-
nen. Aber auch den gewöhnlicheren Arbeiten bleibt häufig
noch der Vorzug einer erhöhten Thätigkeit der Phantasie.
Während in Epochen vollendeter Kunst die künstlerische
Kraft mehr für die Ausführung in Anspruch genommen
wird, hat sie sich hier ganz der erlindenden Seite zuge-
Wendet. Schon an der architektonischen Plastik tritt die
Erfindung in anziehender Weise und mit überraschender
Mannigfaltigkeit hervor, noch mehr zeigt sie sich in den
Miniaturen, besonders vom Ende dieser Epoche, theils in
den arabeskenartigen, bald humoristischen und harmlosen,
bald bedeutungsvollen Beigaben, theils in der neuen und
abweichenden Anordnung der bekannten, unzählige Male
dargestellten Hergänge. Da ist ein Reichthum der Phan-
tasie, eine unermüdliche Fülle und Frische, welche den
Beschauer, der Geduld und Neigung hat, dem Gedanken-
gange dieser einsamen Zeichner anhaltend zu folgen, über-
raschen und belohnen. Sind auch diese Erfindungen bei
Weitem nicht alle sehr geistreich, verdanken sie ihren
leichten Fluss auch grossentheils dem Mangel an Kritik
und Erfahrung, so zeigen sie doch eine jugendliche Lust
und Freudigkeit und eine Ueberfülle der Kraft, welche uns
darauf vorbereitet, dass wir einer Epoche vollendeterer
Kunstüblmg entgegengehen.