Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Das eigentliche Mittelalter (Bd. 4 = [2], Bd. 2, Abth. 2)

Schlussbetrachtung. 
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zu betrachten und nur das in ihnen zu schätzen, was noch 
auf einer einigermaassen gelungenen Beibehaltung antiker 
Motive oder auf einem Anklange an dieselben beruht. 
Könnten wir uns gewöhnen, unsere Blicke mehr auf das 
Neue und Werdende zu richten, uns auf den damaligen 
Standpunkt zu stellen, und für das Verständniss der Inten- 
tionen empfänglicher zu machen, so würden die Werke 
dieser Epoche uns Weniger befremdend und unbefriedigend 
erscheinen; wir würden dann nicht an der mangelhaften 
Darstelhmg des Natürlichen Anstoss nehmen, sondern die 
relative Annäherung an dasselbe verstehen und würdigen. 
Allerdings war die Auffassung der Kunst eine mangelhafte; 
auf feinere Züge des vollen individuellen Lebens, auf tief 
ergreifende Wahrheit dürfen wir nicht rechnen. Selbst die 
allgemeinen Stylgesetze können, eben weil sie der Grund- 
lage der Natur entbehren, nicht mit. der Kraft wirken, wie 
in der vollendeten Kunst; an die ideale Schönheit griechi- 
scher Gestalten, an die mächtige und reiche Harmonie der 
Farbenaccorde, wie wir sie in der Oelmalerei kennen', ist 
eben so wenig zu denken. Aber dennoch hat auch diese 
Vorstufe der Kunst ihre Vorzüge. Der phantastisch kühne 
11nd doch geregelte Schwung der Linie in den Rankenge- 
winden der architektonischen Plastik und der Initialen ist 
oft bewundernswerth, der Farbenglanz der Miniaturen er- 
freulich. Und höher noch ist es zu schätzen, wenn in 
einzelnen Bildern die Poesie des Gedankens vermittelst jener 
phantastischen und arabeskenartigen Auffassung freier her- 
vortritt, als es bei vollkommen natürlichen Formen möglich 
Wäre, wenn ein feineres Gefühl neben der Unvollkommen- 
heit der Darstellung sich mit liebenswürdiger Naivetät äus- 
sert, wenn wir verstehen, dass die mangelhafte Auffassung 
des Natürlichen lmd die typische und architektonische Be- 
handlung mit der tiefen und kindlichen Ehrfurcht vor den 
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