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Sculptur
und
Malerei.
In dem ganzen Verlaufe dieser Entwickelung lag indessen
im Wesentlichen stets dieselbe Auffassung der darstellen-
den Künste lllld ihres Verhältnisses zur Natur zum Grunde,
welche in jenen irischen Miniaturen, nur mit höchster und
barbarischer Schroffheit, aufgetreten war. Wenn die Kmist
hier ganz Arabeske wurde und die Gliederung der mensch-
lichen Gestalt nur als ein Motiv für willkürliche Federzüge
benutzte, näherte sie sich zwar später mehr der Natur,
behielt aber dennoch die Arabeske in den Initialen und
sonstigen Verzierungen als einen wesentlichen Bestandtheil
der Kunst bei, und behandelte selbst die natürlichen Her-
gänge mit einer phantastischen, der Arabeske sich annä-
hernden Freiheit. In der monumentalen Malerei und in der
Sculptur konnte dies nun nicht in dem Maasse, wie in den
Miniaturen der Handschriften geschehen, aber auch da blieb
man in Beziehung auf die Natürlichkeit der Hergänge und
die Individualität der Gestalten bei der allgemeinsten und
abstractesten Wahrheit stehen, und schloss sich mehr und
mehr der Architektur an, bis diese endlich so ausgebildet
und so sehr die vorherrschende Thätigkeit des Zeitalters
geworden War, dass ihre Einwirkung sich auch auf die
Darstellung der Gestalten erstreckte. Das Arabeskenartige
und das Architektonische sind in der That in dieser Be-
ziehung nur verschiedene Seiten derselben Auffassungs-
weise, sie beruhen beide auf dem Ueberwiegen des Styli-
stischen über das Natürliche, und verhalten sich zu einan-
der wie das Anmuthige zum Erhabenen. In der Arabeske
leitet der Styl die Hand bei ihrem phantastischen Spiele zu
weicheren Formen, als architektonische Regel giebt er eine
strenge und abstracte Haltung.
Obgleich von der Missachtung des Mittelalters zurück-
gekommen, pflegen wir dennoch die Werke dieser Epoche
noch immer zu sehr von dem Standpunkte antiker Kunst